Mülheim. Das Mülheimer Kunstmuseum schlägt mit „Jagd auf die Moderne“ einen großen kulturhistorischen Bogen in die NS-Zeit und erzählt vom gesellschaftlichen Verlust an Geist und Genie.

Dass sich die Freiheit einer Gesellschaft bis heute auch in der Freiheit des Andersmalenden ausdrückt, erkennt man, wenn China einen Kunstweltstar wie Ai Weiwei unter Hausarrest stellt. Schon deshalb zeigt sich die Ausstellung „Jagd auf die Moderne. Verbotene Künste im Dritten Reich“ ebenso geschichts- wie gegenwartsbewusst; denn das Mülheimer Kunstmuseum Alte Post beschränkt sich nicht darauf, den Folgen der so barbarischen wie berechnenden Beschlagnahmungen durch die Nationalsozialisten nachzuspüren. Welche tiefen, bis heute unverheilten Wunden die Plünderung der vermeintlich „entarteten Kunst“ in den Museen angerichtet hat, haben schon mehrere Ausstellungen klug und anschaulich vor Augen geführt.

In Mülheim fasst man das Thema nun weiter und erzählt vom gesellschaftlichen Verlust an Geist und Genie. Ein Bild der Ausstellung steht geradezu exemplarisch für dieses Drama: „Die geistige Emigration“. Der Mülheimer Maler Arthur Kaufmann hat sich da eingereiht in den Kreis der intellektuellen Elite, von George Grosz über Heinrich Mann und Otto Klemperer bis zu Albert Einstein und Ernst Bloch. Eine illustre Reisegesellschaft, zu Schiff, auf dem Weg in ein besseres Anderswo. So ist die Ausstellung auch ein großes Panorama der Flüchtigen, Verfemten, Emi­grierten und Inhaftierten.

Die jüdischstämmige Dichterin Else Lasker-Schüler bekommt 1933 Publikationsverbot, Emil Nolde wird mit Malverbot belegt. Anna Seghers’ Romane und Erzählungen enden bei der Bücherverbrennung 1933 wie so viele andere im Feuer. Und der an der Kunstakademie Düsseldorf ausgebildete Heinrich Maria Davringhausen erlebt neben Max Ernst und Lion Feuchtwanger die Hölle des Internierungslagers von Les Milles, bevor er in Südfrankreich zu einer neuen magischen Bildersprache findet.

Von all dem und viel mehr erzählt „Jagd auf die Moderne“, eine kulturhistorische, grenzüberschreitende Schau, die als deutsch-polnische Kooperation auch ein Zeichen der Verständigung setzt. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und das International Cultural Center Krakau haben mitgewirkt bei diesem ehrgeizigen Projekt, das einen Bogen schlägt von der Weimarer Republik bis zum Zweiten Weltkrieg, von Rhein und Ruhr bis zu Oder und Neiße. Die Malerei wird dabei in den Zusammenhang der politischen Ereignisse gestellt, aber auch in den Dialog mit anderen Künsten, Literatur und Musik etwa, die ebenfalls von der Gleichschaltung betroffen sind. So geht Robert Gilberts unverwüstlicher Durchmarsch-Song „Ein Freund, ein guter Freund“ um die Welt, als Oscar Züglers Folkwang-Ausstellung „Zeichen und Bilder“ 1933 im Museum Folkwang geschlossen wird.

180 Gemälde, Grafiken, Bücher und Musikstücke bringt die Schau zusammen. Große Namen sind vertreten, von George Grosz über Kurt Tucholsky, Bert Brecht bis Oskar Schlemmer. Ihnen gegenüber steht die erste Garde der polnischen Kunst. Wobei es den Ausstellungsmachern weniger um spektakuläre Leihgaben geht als um Schicksale. Die Werke sollen den Zugang bilden zu den Biografien, sagt LVR-Kuratorin Judith Schönwieser. Die sind auf deutscher wie polnischer Seite erschütternd ähnlich: Die Künstler werden verboten, verfemt, ihre Bilder als „entartet“ diffamiert. Nicht nur der Maler Otto Pankok fällt mit der „artfremden Menschendarstellung“ seines Zigeunerkinds „Hoto II“ von 1931 bei den Nazis in Ungnade.

Vor dem Krematorium

Wie sich Flucht und Feindseligkeit, Gefangenschaft und Fremde auf das künstlerische Schaffen auswirken, ist freilich unterschiedlich. Während der Maler Hans Grundig seine Kritik 1938 in düsteren Tiergleichnissen wie „Mit den Wölfen heulen“ packt und Leo Haas seine Lithografien wie „Appell in Sachsenhausen“ oder „Vor dem Krematorium“ als bitter-graue, bedrückend-düstere Dokumente eines Vernichtungszuges anlegt, malt Bruno Krauskopf 1939 eine „Fjordlandschaft“ in flirrend­sten Farben.

So trifft die Malerei des Exils hier auf die Kunst des Widerstands, treffen Überlebenskünstler auf Mitläufer, begegnen polnische Avantgardisten deutschen Sachlichen. Finden braune Ideologien ihr farbiges Feindbild – und die „Jagd auf die Moderne“ zumindest museal ein gutes Ende.