Essen. Hannelore Kraft will im just begonnen NRW-Landtagswahlkampf auf Volksnähe und Verwurzelung in ihrem Land setzen. Ein Kandidatencheck.

Aus der elften Etage des Düsseldorfer Stadttors sieht die Welt anders aus als von unten. Der Rhein ist in gleißendes Sonnenlicht getaucht, langsam zieht ein Schleppkahn stromaufwärts. Der Landtag liegt da wie geduckt. Es ist Tag eins nach dem rot-grünen Haushaltscrash. Hannelore Kraft macht nicht den Eindruck, als wolle sie ihren Platz hier oben in der Staatskanzlei demnächst räumen.

Für die Ministerpräsidentin gab es nach kurzer Nacht schon früh am Morgen kirchlichen Beistand. Ein hoher evangelischer Würdenträger rief an, um ihr die Herrnhuter Tageslosung vorzulesen: „Der Herr wird seinem Volk Kraft geben.“ So etwas erzählt die SPD-Frau jetzt besonders gern. Sie hat längst auf Wahlkampf umgeschaltet.

„Jetzt ist der Westen dran“

Der Zeitplan bis zum wahrscheinlichen Wahltag am 13. Mai ist eng. Es muss schnell gehen. Schon am 31. März wird ein SPD-Parteitag die Reserveliste aufstellen, Kraft zur Spitzenkandidatin bestimmen, das Wahlprogramm beschließen. Sensationen sind nicht zu erwarten. Ein zentrales Thema soll das Ost-West-Gefälle bei den Förderprogrammen des Bundes werden. Kraft will die NRW-Karte spielen: „Jetzt ist der Westen dran.“ Im neuen Landtag will die SPD stärkste Fraktion werden und die Koalition mit den Grünen fortsetzen – das sind die Hauptziele. Kraft hofft damit auf eine rot-grüne Mehrheit im Bundesrat, um „mehr Druck“ in Berlin ausüben zu können.

Immer hat sie dabei auch Norbert Röttgen im Visier, auch wenn der Name kein einziges Mal fällt. Sie kennt die Schwachstelle. Anders als ihr CDU-Gegenkandidat „werde ich mich auf Nordrhein-Westfalen konzentrieren“, sagt Kraft, und: „Berlin ist für mich keine Option.“

Hannelore Kraft (50 Jahre, SPD)

  • Sympathiefaktor Bürgernah, tritt unverkrampft auf, stellt schnell Nähe zu Menschen her. Das ist Teil ihres Erfolgsrezepts.
  • Wirtschaftskompetenz Obwohl Diplom-Ökonomin, vernachlässigte sie zu lange die Wirtschaftspolitik. Das hat sie korrigiert.
  • Führungsstärke An der Spitze der Regierung unumstritten. Hat intern keine Probleme, sich Respekt zu verschaffen. Gilt mitunter als launisch.
  • Rhetorik Redet ohne Umschweife, kommt direkt zur Sache. Glänzt nicht, wird aber verstanden.
  • Einfluss in der Partei Seit Rau war kein SPD-Chef in NRW so mächtig. Die Partei folgt ihr. Könnte sich im Bund stärker profilieren.
  • Promi-Faktor Hat ihren Bekanntheitsgrad rapide gesteigert. Sehr gefragt als Gast in Talkshows.

Dies schließt für die Mülheimerin die Erkenntnis ein, dass sie als Spitzenpolitikerin in der Hauptstadt nicht annähernd so volksnah agieren könnte wie sie es in NRW gewohnt ist. Auch deshalb hatten Spekulationen über Krafts angebliches Interesse an einer SPD-Kanzlerkandidatur nie viel Substanz. Jetzt will sie wieder „durchs Land ziehen“. Das liegt ihr. Die SPD-Zentrale schneidet den Wahlkampf ganz auf sie zu. Nur die wegen der Finanzierung aus Steuergeld umstrittenen „TatKraft-Tage“ wird es nicht geben.

Kraft kontert „Schuldenkönigin“ mit soliden Zahlen

CDU und FDP wollen Kraft auf dem finanzpolitischen Feld stellen. Es soll das Gewinner-Thema der Opposition werden. Kraft hält dagegen, mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 165 Euro stehe NRW besser da als viele andere Bundesländer wie Hessen, Rheinland-Pfalz oder Niedersachsen. Und bei den Ausgaben pro Einwohner sei NRW mit 3111 Euro bundesweit am sparsamsten. Die „Schuldenkönigin“ hat sich mit Zahlen gewappnet.

„Da sind wir uns sehr nah“

Das Duo Kraft-Löhrmann tritt wieder getrennt an, aber irgendwie doch gemeinsam. Sie bilden das wichtigste Scharnier der noch amtierenden Regierung. „Sie ist eine gradlinige Frau aus dem Ruhrgebiet und sehr pragmatisch“, sagte Kraft über die Grüne, „da sind wir uns sehr nah.“