Ruhrgebiet. 1837 Schlecker-Filialen stehen bereits auf der definitiven Streichliste, über 400 bis 500 wird noch verhandelt. Das Ruhrgebiet muss mit rund 120 Schließungen besonders bluten.
Die Kunden sind scheu geworden, und auch das war ja Teil des Problems. Vorsichtig drücken sie die Klinken der Schlecker-Läden, als hätten sie Angst, verschlossene Türen würden sie vor den Kopf stoßen. Schüchtern stecken sie ihre Nasen ins Geschäft: „Entschuldigung, können wir hier noch bestellen?“ Keine Kasse an diesem Mittwoch, an der nicht geredet wird, gefragt, geseufzt. „Wissen Sie schon, ob Sie bleiben?“
Schlechte Nachricht kam übers Faxgerät
Dienstag noch mussten die Schlecker-Frauen die Schultern zucken, am Tag darauf wissen sie nicht viel mehr. Da steht diese Liste im Internet, die dritte Fassung in zwei Tagen mit dem neuen, fröhlich-bunten Firmen-Logo, „aber wir haben ja hier kein Internet“, sagt eine Verkäuferin in Essen ganz und gar unfröhlich. Sie haben nur das Fax-Gerät. Das weit weg im Hinterzimmer schon seit Tagen rattert: die Gewerkschaft, der Betriebsrat, das Arbeitsamt. Und jetzt das: „Wir müssen Ihnen heute leider mitteilen, dass Ihre Verkaufsstelle nach vorläufigem Stand zum 24. März 2012 geschlossen wird.“
Das ist nächste Woche. „30 Prozent Rabatt auf alles“, rufen die Schnäppchenjäger einander schon zu. An den Schaufensterscheiben wirbt Schlecker indes noch für seinen „Supersamstag“. Und mit seinem neuen Slogan: „For You. Vor Ort.“ Over und vorbei. 1837 Filialen stehen auf der definitiven Streichliste, 400, 500 weitere sind noch Verhandlungsmasse. Sie haben es auf eine „Erhaltungsliste“ geschafft, die erneut überprüft werden soll. Fest steht bislang: Bochum verliert zehn Geschäfte, Duisburg neun, Gelsenkirchen zwölf, Essen elf, Herne drei, Gladbeck fünf, Recklinghausen sieben, Dortmund zehn. Mindestens.
Das Ruhrgebiet muss mit rund 120 Schließungen besonders bluten, wie alle deutschen Ballungsräume; bei den Beratungen am Dienstagabend in Thüringen konnten gerade hier nur vereinzelte Filialen gerettet werden. Die Unternehmungsberater, die zuvor erste Vorschläge erarbeitet hatten, seien „mit dem Besen“ durch den Bestand gegangen, klagt Achim Neumann, Unternehmensbetreuer bei der Gewerkschaft Verdi. Das allerdings passt zum aktuellen Kundenmagazin: Das trommelt für den „Großen Schlecker-Frühjahrsputz“, gemeint waren damit allerdings WC-Reiniger und Schmierseife. Und während in Essen eine Kundin Tabletten ordert, sagt in der Pfalz die Betriebsrätin Anna Bittner, das alles sei „ein bisschen wie bei einer Krankheit: Man will es so lange nicht wahrhaben, bis der Befund vom Arzt wirklich da ist.“ In Dortmund hat eine Mitarbeiterin dagegen fast aufgegeben. „Wir sind schon drei Monate im freien Fall. Da ist es fast egal, wie alles ausgeht. Hauptsache, es ist zu Ende.“
Nur ist es das noch nicht. Noch ist die Liste der Läden ja nicht komplett und die der Namen nicht öffentlich. Aber es gibt sie schon: eine Aufstellung der fast 12.000 Mitarbeiterinnen, die entlassen werden sollen. „Kündigung, darum geht es“, sagt die Sprecherin des Verdi-Bundesvorstands Christiane Scheller. „Menschenverachtend“ findet das eine Kundin in Essen, und die Frau an der Kasse „kriegt das in den Kopf nicht rein“: So viele, „und nur weil unser Image schlecht ist“?
Entschieden wird zum Ende der Woche, nach Sozialplan und vom Insolvenzverwalter. Freitag trifft sich Arndt Geiwitz, der auch mit ersten Investoren verhandelt, erneut mit Vertretern der Gewerkschaft und der Betriebsräte. Nicht jede „Schlecker-Frau“, deren Laden zugemacht wird, muss gehen, und nicht jede, deren Geschäft bleibt, darf ebenfalls bleiben. Geiwitz hätte gern eine Transfergesellschaft und dafür Geld vom Staat, aber das Wirtschaftsministerium winkte bereits ab. „Ich brauche staatliche Unterstützung“, wiederholte Geiwitz am Mittwoch, Verdi nennt das Gerangel unerträglich: „Die Politik“, so Achim Neumann, „inszeniert einen Verschiebebahnhof auf dem Rücken tausender Beschäftigter, denen die Kündigung droht.“
Weiblicher Beschäftigter vor allem, assistiert Schlecker-Gesamtbetriebsratschefin Christel Hoffmann: „Das grenzt schon an die Diskriminierung von Frauenarbeitsplätzen.“ Denn in der Tat ist es ja nicht lange her, dass in den Geschäften die Bittbriefe an die Scheiben gepappt wurden: „Die Schlecker-Frauen brauchen Ihre Unterstützung!“ Nun rückten in den ersten Verkaufsstellen bereits die Berater der Arbeitsagenturen an. Manche schon vor dem gefürchteten Fax.
„Die Verkäufe in den Filialen gehen weiter“
Dabei stand in den Flugblättern aus der vergangenen Woche noch ein weiterer Satz: „Die Verkäufe in den Filialen gehen weiter.“ Das wird nun schon Ende kommender Woche in mehr als 2000 Läden Geschichte sein. Die Kunden registrierten das am Mittwoch mit hängenden Schultern. Was soll man da Tröstendes sagen? „Wir werden Sie vermissen.“