Kamen. .
Wer an der Villa an der Hammer Straße vorbeikam, fragte sich stets: Was geschieht hinter dem schmiedeeisernen, blickdichten Zaun? Warum stehen hier des Nachts Krankenwagen mit osteuropäischen Kennzeichen? Wozu das gewaltige Parkhaus (zum Konzerthaus wurde es später umgebaut)?
Seit Oktober vergangenen Jahres kennt man das Geheimnis der Villa: der Besitzer, ein Kamener Geschäftsmann, betrieb hier eine professionelle Cannabisplantage. Gegen den 50-Jährigen, der seit dem 19. Oktober in Untersuchungshaft sitzt, und drei weitere Tatverdächtige hat die Staatsanwaltschaft Dortmund jetzt die öffentliche Klage erhoben. Der Vorwurf lautet: bandenmäßiges Handeltreiben mit Cannabis. Rund 400 Kilogramm Drogen soll die Bande verkauft haben. Umsatz: rund 1,5 Mio. Euro, schätzt Oberstaatsanwältin Dr. Ina Holznagel. Prozessbeginn ist in zwei, drei Monaten.
Für den Betrieb der Plantage soll der Kamener übrigens auch illegal Strom abgezapft haben. Möglicherweise auf Kosten der Mieter in einem Nachbarhaus, das ihm ebenfalls gehört.
Aufgeflogen war der Kamener, weil er bei einem Immobiliengeschäft mit einer hohen Geldsumme bar zahlte. Woraufhin die Bank wegen des „Geldwäschegesetzes“ den Zoll informierte. Dass die zur Hausdurchsuchung angerückten Steuerfahnder die Rauschgiftplantage im Keller fanden, war ein Zufallstreffer. Die Beamten entdeckten übrigens nicht nur die Cannabisplantage, sondern auf dem Spitzboden des Hauses auch getrocknetes Marihuana, Portionierungswerkzeuge und eine scharfe Schusswaffe.
In den folgenden Wochen gelang es den Rauschgiftfahndern der Kreispolizeibehörde Unna dann, ein ganzes Netzwerk von Tatbeteiligten zu ermitteln, die in dringendem Verdacht stehen, sich seit Jahren mit der Aufzucht und dem Vertrieb von Cannabis befasst zu haben.
Die Anklage geht davon aus, dass der Kamener Musikverleger bereits seit dem Jahr 2006 zunächst in einem Schuppen und mit zwei Helfern – zwei Männern aus Dortmund – mit dem Cannabis-Anbau begann. Nachdem man dort zunächst „nur“ ca. 650 Gramm Marihuana geerntet hatte, legten die Angeschuldigten – so die Vorwürfe in der Anklage – ab Ende 2007 eine Großplantage in Dortmund-Dorstfeld an. Während der Kamener im Wesentlichen zunächst für die Buchführung, Organisation und den Vertrieb zuständig gewesen sein soll, kümmerten sich die übrigen Bandenmitglieder insbesondere der „Pflanzenpflege“ und der Ernte. Zu dieser Zeit stieß auch ein 40 Jahre alter Warendorfer zur Gruppe, der für einen Plantagenbesitzer von Polen aus Kurierfahrten übernommen hatte und über Kontakte zu Abnehmern verfügte.
Die Gruppe legte – nach geständigen Angaben dieses Tatbeteiligten, der sich den Ermittlungsbehörden als „Kronzeuge“ offenbart hat – ab 2008 die Plantage im Wohnhaus des Kameners an. Im selben Jahr schloss sich noch ein 36-jähiger Kamener den Tatverdächtigen an, der von da an u.a. die Wasser- und Strominstallation übernahm und die für den Ausbau der Plantagen erforderlichen Stecklinge zog.
Mitte 2009 expandierte nach den Ermittlungsergebnissen der 28-jährige Dortmunder mit seinen Aktivitäten weiter nach Arnsberg und Steinheim. Auch dort begann man mit dem Anbau von Cannabis, wobei der 40-jährige Warendorfer für diese Plantagen den Vertrieb übernahm.
Nach der Festnahme des Geschäftsmannes in der Villa in Kamen gelang es diesen beiden Tatverdächtigen, die Arnsberger Plantage noch teilweise abzuernten, bevor die Polizei am 4. November 2011 vor Ort erschien und die Wohnung im Stadtteil Hüsten versiegelte. Die beiden Tatverdächtigen waren zunächst untergetaucht. Weitere Nachforschungen führen die Rauschgiftfahnder zwei Wochen später jedoch zum Steinheimer Standort der Bande. Der 40-jährige spätere „Kronzeuge“ wurde dort am 20. November 2011 festgenommen. Sein Mittäter hatte sich derweil nach Österreich abgesetzt. Dort konnte er am 25. November aufgrund eines europäischen Haftbefehls festgenommen werden. Mitte Dezember wurde er aufgrund des Beschlusses des Landgerichts Klagen-furt den deutschen Behörden über- stellt.
Die beiden weiteren Tatverdächtigen waren bereits im Oktober 2011 nach der Durchsuchung der Villa in Kamen aufgrund von dort gefundenen Beweismitteln identifiziert und inhaftiert worden.
Der „Kronzeuge“, der mit seinen Aussagen wesentlich zur Aufhellung der Tat- und Täterzusammenhänge beigetragen hat, ist am 1. März zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden.
Die übrigen Anklagen wurden im Hinblick auf die deutlich höhere Straferwartung für die vier verbleibenden Angeschuldigten beim Landgericht in Dortmund erhoben. Für bewaffneten Betäubungsmittelhandel sieht das Gesetz Freiheitsstrafen nicht unter fünf Jahren vor. Die Betäubungsmittelkammern in Dortmund haben nun über die Zulassung der Anklage zu entscheiden.