Brambauer. .
Im Fernsehen ist Marcel regelmäßig zu sehen, auch über die Kino-Leinwand flimmert seine Botschaft, sein Gesicht findet sich auf Plakaten in der ganzen Republik. Morgen erscheint ein großes Interview in der Jugendzeitschrift „Bravo“. Marcel ist in diesen Tagen ein Star. Einer, mit einer besonderen Botschaft. Der 22-Jährige promotet nicht seinen neusten Film oder Song. Er wirbt für mehr Verständnis und Aufklärung. Marcel ist HIV-positiv.
„Ich hatte Angstdavor, zu sterben“
Vom Plakat an der Klassenwand blickt er ernst auf die Zehntklässler der ProfilSchule (ehemals Achenbach-Hauptschule). Vor den Schülern wirkt der „echte“ Marcel entspannter. Er lehnt lässig am Pult, erträgt die anfänglichen flachen Witze einiger Jungs mit einem Lächeln. Sagen muss er nichts, die anderen Schüler motzen die Störenfriede an: „Benehmt euch mal!“ Das wirkt – am Ende werden die Witzbolde zu den eifrigsten Fragestellern. Und Marcel hat eine Menge zu erzählen.
Zwei Jahre ist es her, dass der junge Essener ungeschützten Sex mit einem Mann hatte. „Ich habe auf’s Kondom verzichtet, weil ich verliebt war“, erzählt Marcel. Es war der Anfang einer Beziehung, die beiden kannten sich schon mehrere Monate, bevor es zum Sex kam. Die Konsequenzen trägt er sein Leben lang.
Monatelang hat er sich nach der Diagnose verkrochen, hat niemandem etwas erzählt. „Ich hatte Angst, auch Angst davor zu sterben“, berichtet Marcel. Schließlich öffnete er sich seinen Eltern, weihte später Freunde ein. Marcel wollte aufgefangen werden – und musste zunächst selbst der Starke sein, bis Eltern und Freunde den ersten Schock überwunden hatten.
Jetzt sind sie für ihn da – und Marcels größte Angst, abgelehnt zu werden, bewahrheitete sich nicht. Marcel ist ein ganz normaler junger Mann. „Ihr dürft mich auch anfassen und die gleiche Luft atmen – wir sind ganz normale Menschen“, sagt er den Schülern.
„Kann man HIV nicht wieder loswerden“, will ein junger Mann wissen. Das leider nicht, sagt Marcel. Aber die Infektion mit dem HI-Virus ist kein Todesurteil mehr. „Früher lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei fünf bis sechs Jahren“, weiß Manuel Izdebski von der Aids-Hilfe Kreis Unna. Heute sind es 35 bis 40 Jahre. „Die Lebenserwartung ist nahezu normal“, weiß der Berater. Man könne mit dem Virus alt werden, eine Garantie gebe es dafür aber nie.
Vier Tabletten täglich machen es möglich, dass Marcel normal leben kann, seinen Job in einer öffentlichen Verwaltung macht, am Wochenende mit Freunden feiert, das Leben genießt. Vier Tabletten, die ihn hoffen lassen: „Es kann sein, dass Aids gar nicht ausbricht“.
Ob er heute noch Kontakt zu dem Typen habe, der ihn angesteckt hat? Nein, sagt Marcel. Obwohl er ihn hätte anzeigen können. „Er wusste, dass er HIV-positiv ist.“ Sauer ist Marcel aber eher auf sich selbst. „Ich bin genauso Schuld, weil ich auch aufs Kondom verzichtet habe“, sagt er. Und außerdem will er seine Energie nicht verschwenden, um jemanden zu hassen. Die investiert er lieber, um als Botschafter gegen Diskriminierung und für mehr Aufklärung zu arbeiten.