Lüdenscheid. .
Am 8. November 1991 – vor 20 Jahren – trat etwas ein, was man im beschaulichen Lüdenscheid für unmöglich gehalten hatte: Ein Banküberfall mit Geiselnahme. Die Chronik.
15.55 Uhr: Roland Henschel – gerade in Hafturlaub – überfällt die Filiale der Commerzbank und nimmt 20 Geiseln.
16 Uhr: Die Polizei bringt dem Täter die von ihm geforderten Handschellen. Im Gegenzug lässt er eine Frau und zwei Kinder frei.
19 Uhr: Henschel schickt eine fast unbekleidete Geisel als Boten vor die Tür. Er verlangt absolute Nachrichtensperre, zehn Millionen Mark Lösegeld und einen Fluchtwagen. Kurz darauf lässt er ein Kind frei.
23.12 Uhr: In der Bank fallen Schüsse. Getroffen wird der damals 57-jährige Hans Walter Illhardt. Henschel wirft das blutbefleckte Hemd vor die Tür.
4.30 Uhr: Das Lösegeld wird gezahlt und ein Fluchtwagen vor der Bank abgestellt. Weitere Geiseln kommen frei. Henschel droht weiter mit Geiselerschießungen.
13 Uhr: Die Polizei stürmt das Gebäude. Roland Henschel wird von dem Sonderkommando durch einen Kopfschuss getötet.
Der Tag und die Nacht in der Erinnerung der Redaktion:
Wir waren ganz nah dran. Die Redaktion lag in Sicht- und Hörweite des Tatorts – und damit im Sperrbezirk des SEK. Wie die schwarz vermummten Scharfschützen auf den Gebäuden rund um den hermetisch abgeschirmten Rathausplatz Stellung bezogen, bot einen gespenstischen Anblick.
Es wurde für die WR-Lokalredaktion im Gewerkschaftshaus der längste Arbeitstag in ihrer Geschichte. Als am späten Nachmittag des 8. November 1991 eigentlich gerade Feierabend sein sollte, ertönte die Durchsage des Polizeilautsprechers. Nicole Kirchhoff, eine junge freie Mitarbeiterin, war damals als erste am Tatort. Ihr WR-Foto von einer Geisel in Unterhosen unter dem Co-Bank-Logo ging durch die ganze Republik.
Es waren endlose Stunden des Wartens in Lauerstellung die ganze Nacht hindurch. Morgens gab es erste ernste Versorgungsengpässe in der Redaktion. Wer Zigaretten holen wollte, hatte zwar jederzeit freien Ausgang aus der Sperrzone. Aber die Polizei ließ niemanden wieder hinein. Und zeigte auch nicht die geringste Bereitschaft, die Redaktion am nahe gelegenen Kiosk mit neuen Kippen zu versorgen.
Im Laufe des Vormittags kam das Räumkommando: Zwei Kripobeamte in Zivil forderten uns freundlich aber mit Nachdruck auf, die Büros zu verlassen. In einer Kneipe zimmerte die Redaktion am Samstag das Extrablatt, das als Sonderdruck erschien. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Der 8. November 1991 geht in meine Familiengeschichte ein – nur damals wusste ich das noch nicht. Überfall mit Geiselnahme in der Commerzbank – das waren zuerst die dürren Informationen, die wir in der Redaktion hatten. Während die Kollegen auf Fotos lauerten, schnappte ich mir den freien Mitarbeiter Matthias Schröter (der heute Pressesprecher der Grünen in Berlin ist). Wir sollten herausbekommen, wer die Geiseln sind. Jedem noch so wilden Gerücht sind wir nachgegangen, haben am späten Abend wildfremde Menschen angerufen, um sie zu fragen, ob ein Angehöriger unter Umständen bei den Geiseln sein könnten. Bei den Illhardts habe ich nicht angerufen. Meine zukünftige Familie wusste nicht einmal, dass Hans als Geisel in der Bank war. Es war nämlich völlig untypisch für ihn, freitags zur Bank zu gehen. Um 23.12 Uhr fallen Schüsse in der Bank. Hans erleidet einen Schulterdurchschuss – von einer richtige Waffe und nicht – wie es immer hieß – von einem Gummigeschoss. Dass er es überlebte, ist wohl nur einem glücklichen Zufall zu verdanken.
Seitdem Hans mein Schweigervater ist, ist die Geiselnahme ein Teil unserer Familiengeschichte. Zumindest für uns gab es ein Happy End.
Gut zwei Jahre war ich damals bei der Rundschau. Manche Szenen sind bis heute klar präsent. Die riesige Anspannung war den Polizeibeamten und allen Kollegen ins Gesicht geschrieben. Den Reporter der „Bild“ habe ich weggeschickt, übrigens nicht handgreiflich, wie es fälschlicherweise immer noch redaktionsintern heißt. Aber ich fand es nicht selbstverständlich, dass er auf unsere Beobachtungsplätze und Ressourcen zugreifen wollte.
Nachmittags hatte ich noch vorher einen Termin. Die Sparkassenzweckversammlung tagte weitgehend unberührt von den Geschehnissen, die sich gerade 200 Meter entfernt entwickelten.
Dramatisch wurde es später, als wir nicht mehr vor die Tür durften – Androhung eines Platzverweises nach Polizeigesetz. Das Ende der Geiselnahme habe ich übrigens nicht mehr in der Redaktion erlebt. Ich sollte mich als Ortskundiger durch die Sperre stehlen und habe es auch zum Bahnhof geschafft. Auftrag an den Jungkollegen: Getränke, Zigaretten und etwas Essbares heranschaffen. Auf dem Rückweg haben die Polizisten mich aber abgegriffen und weggeschickt. Kollege Nürenberg hält mir bis heute vor, dass ich ihm am Telefon vom Fehlschlag berichtete und dabei hörbar eine Dose Bier aufgemacht hatte.