Dorsten.

„Wir sind vorsichtig und etwas besorgt“, so kommentierte Dr. Khadija Katja Wöhler-Khalfallah am Mittwochabend im Alten Rathaus den Wahlausgang in Tunesien mit dem Sieg der islamistischen Partei Ennahda.

Den Vortrag „Islam und Demokratie“ der 44-jährigen Islamwissenschaftlerin aus Wetter an der Ruhr, die sich in Studien zum islamischen Fundamentalismus spezialisiert hat, war vom Trägerverein Altes Rathaus und Volkshochschule Dorsten schon lange als Bestandteil des Herbstprogrammes geplant. Der aktuelle Bezug zum Wahlergebnis in Tunesien ergab sich ganz von selbst, ist Wöhler-Khalfallah doch Tochter eines Tunesiers und einer Deutschen, im nordafrikanischen Land aufgewachsen und dort auch zur Schule gegangen.

Zu Beginn des hoch informativen Abends zeichnete Wöhler-Khalfallah die Ursprünge des islamischen Fundamentalismus auf. Auf den über 200 Jahre alten Überzeugungen des sauditischen Religionsgelehrten Muhammed ibn Abd al-Wahhab mit seiner strengen und dogmatischen Auslegung des Korans gründete sich 1928 in Ägypten die Muslimbruderschaft. Diese ist heute eine der einflussreichsten und fundamentalistischsten Bewegungen des Islam im Nahen Osten.

„Das große Problem der islamischen Länder, den Schritt in die Demokratie zu schaffen, ist die mangelnde Bildung der Bevölkerung“, weiß Wöhler-Khalfallah. Die meist selbst laizistischen Diktaturen der Vergangenheit hätten zur Konsolidierung ihrer Macht wohlweislich unzureichende Bildungspolitik betrieben.

Erschreckend groß sei daher der Prozentsatz der Analphabeten auch heute noch. Durch Naivität und mangelnde politische Bildung seien die Menschen in ihrem legitimen Wunsch nach Gerechtigkeit und Prosperität von dem Gedanken geblendet, „nur Gott ist erhaben über menschliche Schwächen“. Sie liefern sich dem Gedankengut der radikalen Islamisten und deren strengen Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, aus. „Dabei tendiert der Volksislam eher zur Gemütsruhe und zur Toleranz“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Der Sieg einer islamistischen Partei mit Kontakten zur Muslimbruderschaft bei der ersten demokratischen Wahl in Tunesien wirft bange Fragen nach der Zukunft des Landes und seiner fortschrittlichen Kräfte auf. „Viele meiner Freunde in Tunesien sind erschrocken und verzweifelt“, berichtet Wöhler-Khalfallah, „aber die Jugend im Land, die mit den modernen Kommunikationsmitteln wie Mobiltelefonen und Internet die demokratische Bewegung in Gang gesetzt hat, ist erst einmal abwartend.“ Viel hänge jetzt ab von dem Einfluss der progressiveren Parteien im neu gewählten Parlament auf die Ennahda, damit nicht zu viel der Scharia in die neue tunesische Verfassung einfließt.

Der Vortrag von Kadija Katja Wöhler-Khalfallah hat den Anwesenden auf jeden Fall gezeigt, dass Islam und Demokratie sehr wohl zusammenpassen, jedoch nicht Demokratie und Fundamentalismus.