Altena/Hagen. .

Chafik Itani (65) starb durch einen einzigen Messerstich. Das behauptet sein Sohn Muhamed I., der mutmaßliche Täter. Seit heute muss sich der 25-jährige Student wegen Totschlags vor dem Hagener Schwurgericht verantworten. Er will seinen Vater im Zuge eines handgreiflichen Streits umgebracht haben – im Affekt, aus der Not heraus.

Muhamed I. scheint ein zurückhaltender Mensch zu sein, ein Mann der leisen Töne. Vor Gericht trägt er ein unauffälliges kariertes Hemd. Auf seinem Gesicht malt sich eine Mischung aus Angst, Irritation und Verzweiflung ab. Er ist um Freundlichkeit und Höflichkeit bemüht. Ein Bestreben, das in seiner Situation nahezu groteske Züge annimmt. Und, er scheint nur auf die Gelegenheit gewartet zu haben, dem Gericht und der Öffentlichkeit seine Geschichte zu erzählen. Eine Version, die Abgründe offenbart.

Sollte das, was Muhamed I. in seiner mehrstündigen Einlassung schildert, auch nur im Ansatz der Wahrheit entsprechen, dann bedeutete Kindheit für ihn und seine Geschwister ein nicht enden wollendes Martyrium.

Verteidiger von
Notwehr überzeugt

„Es ist eine lebenslange Geschichte. Mein Vater ist ein Familientyrann gewesen. Das ist die Grundlage“, eröffnet er seinen emotionalen Monolog. Er spricht von einem Familiendrama. „Er hat die Menschen manipuliert. Alle waren wegen ihm in Behandlung. Viele wollten sich oder ihn umbringen.“

Bis ins kleinste Detail schildert er, wie sein Vater seine Mutter, damals mit ihm schwanger, zu Verwandten in die USA abgeschoben habe, wo sie von der Familie misshandelt und wie eine Sklavin gehalten worden sei. Er und seine Geschwister seien ebenfalls permanentes Ziel körperlicher und verbaler Übergriffe geworden – bis hin zum sexuellen Missbrauch. Auch Chafik I. habe keine Gelegenheit ausgelassen, seine Frau und Kinder zu quälen, zu demütigen und zu bedrohen, wenn er sich mal in ihrer Nähe aufgehalten habe. So habe sein Vater beispielsweise den erst dreijährigen Bruder auf einem Parkplatz ausgesetzt. Der kleine Junge sei weinend hinter dem Auto hergelaufen.

Mehrfach beginnt Muhamed I. zu schluchzen. Er krümmt sich - offenbar gepeinigt von seelischen Schmerzen. Stück für Stück listet er Folgen auf: Albträume, Schlafwandeln, Selbstverletzung, Depressionen und Suizidgedanken.

Nach Stunden kommt er auf den Tattag zu sprechen: Am 20. Mai sei es in der Wohnung seines Vaters einmal mehr zum Streit gekommen. Schließlich habe er mit dem Rücken auf dem Esstisch gelegen, sein Vater über ihm, die Hände an seinem Hals. „Ich dachte, das war es jetzt für mich. Ich suchte mit der Hand nach dem Messer. Ich schlug auf ihn ein. Ich wollte ihn im Bereich der Schulter treffen. Dann sah ich das Blut spritzen. Er sah mich an. Ich dachte, er ruft jetzt die Polizei. Ich hatte Angst, wollte nur weg. Ich bin weggelaufen. Ich hatte Angst vor dem Knast.“ Als er Stunden später zurückgekehrt sei, habe er seinen Vater tot auf dem Boden liegend gefunden. „Der Boden war voll Blut. In dem Moment ist meine ganze Welt zusammengebrochen.“ Später habe er entschieden, die Spuren zu entfernen. Schließlich habe er den Leichnam verbrannt. „Das war nicht ich. Ich habe Albträume. Ich frage mich, wie ich das machen konnte. Ich leide darunter.“

Verteidiger Prof. Dr. Ralf Neuhaus schenkt seinen Worten uneingeschränkten Glauben. Einlassung und Spurenlage – alles passe zusammen. „Ich glaube nicht, dass man die Einlassung widerlegen kann. Das war Notwehr.“