Wuppertal. Die Deutsche Bahn bietet ihren Kundenbetreuern jetzt Schulungen an – für den Umgang mit schwierigen, oder gewalttätigen Reisenden. In den Kursen in Wuppertal geht es um Psychologie, Juristerei und Befreiungsgriffe.

Man soll ja auch auf keinen Fall „Verpiss dich, du Arschloch“ zum Zugbegleiter sagen, noch nicht einmal im leeren Zug um Mitternacht, und selbst, wenn man zu fünft ist. „Ich hab’ dann mit dem Zugführer abgesprochen, dass er im Bahnhof die Türen von dem Wagen nicht aufmacht, und hab’ eine Türstörung durchgesagt, die gleich behoben würde“, sagt Wolfgang ,Arschloch’ Behrend*. Man sieht es kommen: Bis die Türen sich dann öffneten, hatte er längst die Bundespolizei geholt. „Für zwei von den Typen bestand ein Haftbefehl, und einer war bis an die Zähne bewaffnet“, erinnert sich Behrend. Sein Coup des Jahrhunderts. Die Kollegen im Stuhlkreis nicken einander beeindruckt zu. Ach, könnte die Welt nicht immer so sein, so – gerecht?

„Niemals mit dem Kopf unter die Ebene des Fahrgasts gehen“

Dies ist ein Schulungsgebäude der „DB Training“ in den grünen Hügeln von Wuppertal. Stuhlkreis, Tafel, Leinwand, Kekse; allenfalls die blaue Sitzgruppe in der Mitte von Raum 215 fällt etwas aus dem seminarüblichen Rahmen: Sie erinnert an ein Abteil. Darin sitzt gerade ein zusammengesunkener Mann mit Käppi, der geht in seiner Rolle als Rowdy auf: Der reagiert nicht, als die Schaffnerin ihn anspricht, und der reagiert auch nicht, als sie ihn sanft an der Schulter schüttelt. Aber als sie sich hinunter beugt – Großer Fehler!!! –, um ihm unter dem Käppi in die Augen zu sehen, da schlägt er zu. „Niemals mit dem Kopf unter die Ebene des Fahrgasts gehen“, sagt Thomas Frick zu der lehrreichen Gewaltszene: „Wenn er aggressiv ist, kommt mit großer Wahrscheinlichkeit dann der Schlag.“

Frick ist hier der Verhaltenstrainer, „ich komme von der Körpersprache“, sagt der 56-Jährige. Dominante Stimme, ein Körperbau wie Obelix: Frick kriegt bestimmt selten Ärger. Und dazu weiß er auch noch Bescheid: „Viel kann man klären mit guter Laune. Wenn man die Ordnungsmacht spielt, geht das schnell in die Hose.“ Bis Herbst 2012 wird Frick alle 750 „KiNs“ (Kundenbetreuer im Nahverkehr) der NRW-DB schulen, eine unterhaltsame zweitägige Mischung aus Rollenspiel und Vortrag; Juristerei und Psychologie kommen zur Sprache, und Befreiungsgriffe üben sie ebenso wie gerichtsfeste Ansage: „ . . . weise ich Sie hiermit darauf hin, dass Sie Hausfriedensbruch begehen . . .“

Wie man es nicht machen soll? Nicht von oben herab, nicht so: „Sollten wir vielleicht davon ausgehen, dass Sie keinen gültigen Fahrschein haben?“ Auch nicht so: „Sehen Sie, geht doch. Nächstes Mal gleich Ticket zeigen!“ Und auch nicht so, das die andern Fahrgäste, die angestrengt lauschend aus dem Fenster schauen, den Namen des Schwarzfahrers mitkriegen. Besser so: „Ich geb’ Ihnen gleich noch was mit, da können Sie sehen, an wen Sie sich jetzt wenden können!“

Beschimpft, beleidigt, bedroht: Arbeitsalltag

Es ist etwas rätselhaft mit dem angeblichen Schlachtfeld Fahrkartenkontrolle. „Beschimpft, beleidigt, bedroht, das gehört leider zum Arbeitsalltag“, behauptet die Bahn. „Früher war man eine Respektsperson, heute nicht mehr“, sagt auch der Zugbegleiter Günter F. (48) und erzählt von einem Angriff mit Säure, „da habe ich mir zum ersten Mal in die Hose gemacht im Dienst“.

Aber bei allen Zwischenfällen, bei allem Bauchgrimmen zu Schichtbeginn und aller medialen Angstlust: Die Zahlen geben gar nichts her, dass es im öffentlichen Nahverkehr heute mordsmäßig gefährlich wäre. Mehr als 800 Anzeigen wegen Körperverletzung durch Fahrgäste zählt die Bundespolizei zuletzt jährlich in Deutschland – das ist bei 1,9 Milliarden Bahnfahrern im Jahr statistisch praktisch nicht wahrnehmbar. „Weniger körperliche Übergriffe, mehr verbale Übergriffe“ sieht Frick derzeit, sagt seinen zehn Zuhörern aber auch: „Beleidigung ist, wenn Sie sich beleidigen lassen.“

Wenn der Koffer zu schwingen anfängt

Und so geht es durch den Tag. Wie man sich hinstellen sollte als KiN, um einem potenziellen Angreifer einen Fluchtweg zu lassen, erklärt Frick; oder woran man erkennt, dass der Mann mit dem Koffer gleich angreift: „Wenn der Koffer zu schwingen anfängt.“ Dann wirft er Aussagen anderer Zugbegleiter an die Wand, zu denen sollen die heutigen ihre Meinung sagen. „Ich setz’ mich durch um jeden Preis“ wird eher abgelehnt. „Ich hab hier das Sagen, und der Tarif ist auf meiner Seite“ wird auch eher abgelehnt. Und dann kommt: „Ich lasse mir gar nichts gefallen, von Pennern und Studenten bestimmt nicht.“ Da lachen sie, und einer sagt: „Können wir das als Aufkleber haben in unseren Zügen?“

Großes KiNo.