Krefeld/Düsseldorf.. Nach seiner Verurteilung in Chile will der frühere Arzt der Sekte Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, nach Krefeld ziehen. Trotz eines internationalen Haftbefehls wegen Beihilfe zum Missbrauch ist die deutsche Justiz machtlos.

Der deutsche Arzt Hartmut Hopp hat in der Colonia Dignidad dem 2010 verstorbenen Sektenchef Paul Schäfer beim sexuellen Missbrauch von Kindern geholfen. Dafür wurde er in Chile zu fünf Jahren Haft verur­teilt. Bei Interpol steht er auf der Fahndungsliste. Vor der rechtskräftigen Bestätigung des Urteils konnte sich der 67-jährige Arzt, der alle Vorwürfe bestreitet, nach Deutschland absetzen. Genauer: nach Krefeld.

In der Stadt am Niederrhein wohnen bereits sein Bruder und sein Adoptivsohn. Außerdem gibt es dort den als gemeinnützig anerkannten Verein „Freie Volksmission Krefeld“, der „von vielen ehema­ligen Colonia-Dignidad-Mitgliedern besucht wird“.

Laut Grundgesetz darf Hopp nicht nach Chile ausgeliefert werden. Einem eigenen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Krefeld werden hingegen kaum Chancen eingeräumt. Die Missbrauchsvorwürfe sind nach deutschem Recht verjährt.

Der NRW-Justiz sind in dem Fall offenbar die Hände gebunden. „Wir konnten bislang noch nicht tätig werden“, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Krefeld am Mittwoch auf Anfrage. Es liege kein Ersuchen auf internationale Rechtshilfe der chilenischen Behörden vor. Bereits in den 80er-Jahren ermittelte die Staatsanwaltschaft Bonn ge­gen Hartmut Hopp. Vergeblich.

Erinnerungen eines Missbrauchsopfers

„Es ist die größte Kriminalgeschichte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs“, sagt Wolfgang Kneese. Der Hamburger, 1966 als erster Mensch aus dem deutschen Sekten-Lager der Colonia Dignidad (CD) in Chile geflohen, hat sich mit seinem gemeinnützigen Verein „Flügelschlag“ der Aufklärung der menschenunwürdigen Verbrechen der Sekte verschrieben.

Kneese, in Jugendtagen ein Schulkollege von Hartmut Hopp, spricht vom Sektenarzt Hopp nur als dem „Kleinen-Mengele“. Wer ist dieser Hartmut Hopp, der sich nach seiner Verurteilung in Chile wegen der Beteiligung am systematischen sexuellen Missbrauch der Haft durch Flucht in Richtung Krefeld entzog? „Er war der zweite Mann hinter dem Sektengründer Paul Schäfer“, sagt Klaus H. Walter von Amnesty International.

Laienprediger Schäfer, der Kneese vergewaltigte und nach Chile verschleppte, hat die „Kolonie der Würde“ 1961 gegründet. In der 17.000 Hektar großen Siedlung mit Bunkern und ausgeklügelten Überwachungssystemen wurden Kinder missbraucht. Während der Pinochet-Diktatur kam es zu Verschleppungen, Folterungen und Mord. Schäfer selbst wurde 2005 in Chile verhaftet, er starb 2010 im Gefängnis.

Hopp war „Außenminister“ der Colonia Dignidad

Sein zweiter Mann Hopp wurde nach Schäfers Abgang zum „Außenminister“ der CD. In Chile, so berichtet Kneese, laufe gegen Hopp zurzeit noch ein weiteres Verfahren: Ermittelt werde wegen des Verdachts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie der Entführung und Ermordung von drei chilenischen Diktaturgegnern während der Pinochetzeit. „Eine Haftstrafe wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz hat er bereits verbüßt“, behauptet die Linke in einer Bundestags-Anfrage zum Fall Hopp vom 1. Juli. Hopp sei in der CD für das Chemielabor zuständig gewesen, „in dem in Zusammenarbeit mit dem Chemiker des chilenischen Geheimdienstes Gift- und Nervengase hergestellt worden sein sollen“.

Um weiteren Prozessen und der Haftstrafe zu entgehen, flieht Hopp in seine alte Heimat, lässt sich zunächst in Willich nieder. Über das Internet bucht Hopp dann eine kleine 3-Zimmer-Wohnung bei der „Wohnstätten Krefeld“. Seit Hopps Vergangenheit bekannt ist, versucht Wohnstätten-Chef Thomas Siegert, den ungeliebten Mieter wieder loszuwerden. Da Hopp auch nach zwei Gesprächen mit Siebert auf Einhaltung des Vertrages pocht, ließ ihm Sie­bert gestern die Kündigung zustellen. Wohlwissend, „dass wir mietrechtlich so gut wie keine Handhabe haben“. Er müsse seine Mieter schützen. Habe Angst vor Protesten.

Sozialhilfe für einen mehrfachen Millionär?

Die Wahl für Krefeld, so scheint’s, ist überlegt getroffen worden. Hopps Bruder und Adoptivsohn leben in der Stadt am Niederrhein. In der „Freien Volksmission Krefeld mit ihrer christlich fundamentalistischen Struktur fühlen sich ehemalige CD-Mitglieder beheimatet“, erläutert Christoph Grotepass, Berater und Theologe beim Sekteninfo NRW.

Ein prominenter Justizflüchtling, den es neben Hopp nach Krefeld verschlug, war Albert Schreiber. Der ehemalige Finanzchef der CD in Chile pflegte Kontakte zum Verein und starb 2007 in Krefeld. „Albert Schreiber stand im Verdacht, an massiven Geldwäschedelikten der CD beteiligt gewesen zu sein. Gegen ihn wurde in Deutschland nicht ermittelt“, heißt es in der Anfrage an den Bundestag. Der Gründer und Prediger der „Freien Volksmisson“, Ewald Frank, soll 2005 mehrfach von Krefeld nach Chile aufgebrochen sein. „Er hat die CD besucht und dort um Anhänger geworben, worauf er von Chile mit einer Einreisesperre belegt wurde“, heißt es in der Anfrage.

Hopp, der Sektenarzt, wird vorerst in Krefeld bleiben. Er lebt bis zu seinem Umzug am 1. September nach Krefeld-Linn im benachbarten Willich. Von Sozialhilfe. Was Kneese zu einem Wutausbruch verleitet: „Hartmut Hopp ist mehrfacher Millionär, hatte Eigentumswohnungen in Santiago de Chile und Anteile an der CD“, schimpft er. Der Krimi kann fortgeschrieben werden.