Bochum. . In unserer Serie „Mein Revier im Wandel“ stellen wir den Stadtteil Bochum-Querenburg vor: Früher eine Bauerschaft, heute studiert hier das Ruhrgebiet.

Man kann ohne jeden Zweifel sagen, dass der 24. Januar 1961 der wichtigste Tag in den letzten 100 Bochumer Jahren war – auch, wenn man es ihm nicht ansah vor lauter Nebel. Es bemühte sich nämlich eine Delegation aus dem Landtag auf einen eisigen Acker im Süden der Stadt, und dort wurden in einem Gott sei Dank beheizten und – ebenso Gott sei Dank – aufgeblasenen Rundzelt aus gegebenem Anlass zunächst einmal Gummistiefel verteilt.

Denn es sollte jetzt über Stock und Stein gehen! Von dem absoluten Nichts, das die Delegation da zu sehen bekam, sofern sie überhaupt etwas sehen konnte, ließ sie sich jedenfalls überzeugen: so eine große, leere Fläche mitten im Ruhrgebiet!

Ein halbes Jahr später wird der Landtag beschließen, dort die erste komplette Universität des Ruhrgebiets zu bauen. „Nicht auf der grünen Wiese, sondern auf der absolut grünen Wiese“, so eine Zeitzeugin. Es entsteht die „Ruhr-Universität“: Im Namen steckt ein umfassender Anspruch. Und der ländliche und dünn besiedelte Stadtteil Querenburg wird sozusagen umgepflügt: vorher Äcker und Wiesen und wenige Menschen. Dann Europas größte Baustelle. Und heute lernen hier mehr als 40 000 Studenten: an der Ruhr-Universität, nebenan an der Hochschule Bochum – und demnächst auch noch am Gesundheitscampus. Was war das denn? Angriff vom Planet des Wissens?

„Für die alten Querenburger war das ein Schock. Es kam ja auch zu Verdrängungsprozessen“, sagt Christian Uhlig. Man muss den 79-Jährigen fast schon einen Ureinwohner nennen, denn er zog bereits vor mehr als 40 Jahren her. „Hier ist alles zugewandert, in meiner Straße haben alle Leute mit der Uni zu tun“, sagt er. Selbst der Namensgeber der Straße kommt von auswärts: Rudolf Virchow (Medizin).

Uhlig, Wissenschaftler und gelernter Buchhändler, sitzt dem „Förderverein Hustadt“ vor, der Ex-Wohnsiedlung der Uni; dieser Förderverein ist so ziemlich das einzige, was in Querenburg an einen Heimat- oder Geschichtsverein erinnert. Er weiß daher fast alles über seinen Ort, doch von Fall zu Fall kapituliert auch er mit einem bezeichnenden Satz: „Da müsste man mit einem richtigen Querenburger sprechen . . . ich weiß jetzt gar nicht, wen’s da gibt.“

Jedenfalls entstand: einer der jüngsten Stadtteile des Ruhrgebiets. Der Durchschnitts-Querenburger ist 38 Jahre alt, aber geht man erstmal auf den Campus . . . Auf dem Campus gibt es keine Vergreisung, hier sehen alle aus wie 24, vor der Hochschule lärmt der Kindergarten, und hinter der Universität wird gerade ein weiterer gebaut.

Auf den Beton der Uni steht gesprüht, was junge Leute halt so sprühen: „Zerschlagt Kapitalismus“ oder „Sexgötter“ oder auch „Ich bin nichts“. Viele Ausländer sind unter den Studenten, aber sie sind nicht türkisch dominiert, auffällig sind vielmehr die Chinesen. Und alle fünf Minuten quillt vormittags eine neue Zweihundertschaft Studenten aus der U35 („Campuslinie“) auf das Gelände, freilich saugt die U-Bahn sie auch später am Tag mit größter Verlässlichkeit wieder auf – denn natürlich wohnen von den 40 000 nur wenige in Querenburg selbst.

Wo der Ortskern der Bauernschaft war, stehen Hochhäuser, und auf den jetzt schon sehr ehemaligen Äckern erheben sich diese unglaublichen, bis zu fünfzehnstöckigen Universitätsblöcke: GA mit Namen, IB, NC und so weiter, dreizehn dieser Blöcke, jeder 115 Meter lang, 36 hoch, 25 breit. Bauhaus statt Bauernhaus, und die alte Chaussee Querenburger Straße ist weitgehend überlagert durch die autobahnähnliche, na klar, „Unistraße“. Bei „Schattbachweg“ oder „Eulenbaumstraße“ klingt noch das ländliche Querenburg durch, hier rauscht auch noch der Wald; aber der Wandel hat in wissenslastigen Gewerbegebieten längst eine Konrad-Zuse-Straße gebaut (Computer) oder eine Lise-Meitner-Allee (Kernphysik).

Eine Zeit lang hatte es etwas Bergbau gegeben in Querenburg, aber er war nie so vorherrschend wie in anderen Teilen des Reviers; und als 1965 die Unibücherei zu arbeiten begann, da geschah das in den Räumen der kurz zuvor geschlossenen Zeche Klosterbusch. Das sagt doch schon alles. Überhaupt blieb vom alten Querenburg ein hoher Anteil Grün und eine Handvoll Fachwerkhäuser: wie die alte Dorfkneipe „Riechmann“ (freilich heißt sie längst „Clochard“ und bewirtet Studenten).

„Die Uni ist ein toller Erfolg, aber Bochum ist bis heute nicht klar, welchen Rang es damit hat“, sagt Uhlig. Im Ruhrgebiet sollten noch Dortmund, Duisburg, Essen folgen, um die größten zu nennen in einer Hochschullandschaft, die nur noch mühsam zu überschauen ist. Der sozusagen öffentlich-rechtliche Strukturwandel, von allen Landesregierungen betrieben, ist offenbar nachhaltiger, als auf die Nokias und Eons zu setzen, die kommen und gehen. Und die Ruhr-Universität? Ist ein bisschen in die Jahre gekommen und wird jetzt durchsaniert. Außerdem haben sie gerade weitere Gebäude gebaut. Zuletzt den Block ID. Demnächst GD . . .