Unna. .

Wenn Jürgen Schultheiß verreisen will, ist oft schon am Unnaer Bahnhof Schluss. Er ist sauer. „Ich fühle mich komplett alleingelassen“, sagt er wütend. Denn Schultheiß kann nur sehr schwer gehen, er ist den ganzen Tag auf seinen Rollstuhl angewiesen. Und wenn er eine Reise geplant hat – und sei es nur nach Dortmund oder Bochum – ist es meistens ein reines Glücksspiel, ob er diese Reise überhaupt antreten kann. Bis zum Unnaer Bahnhof zu kommen, ist kein Problem für ihn. Doch dort angelangt, bleibt ihm oft nichts anders übrig, als dem abfahrenden Zug machtlos hinterherzuschauen. Denn er kommt einfach nicht zu den Gleisen.

Auch Christian Baran kennt dieses „alte, leidige Problem“. Er ist Vorsitzender des Behindertenbeirats des Rates. „Schon oft genug“ hat er Beschwerden erhalten bezüglich des Aufzugs am Bahnhof. Zu den vorderen Gleisen gebe es zwar auch einen Treppenlift für Rollstuhlfahrer, doch auch der sei häufig unbenutzbar. „Sowohl der Lift als auch die Aufzüge werden oft mutwillig zerstört. Bis die Ersatzteile da sind, dauert es oft eine ganze Weile.“ Dies sei zwar schade, aber viel dagegen tun könne man nicht.

„In der Tat ist Vandalismus am Unnaer Bahnhof ein größeres Problem“, bestätigt auch Bahnsprecher Udo Kampschulte. Vor allem der Aufzug am Bahnhofsvorplatz sei schon sehr oft Ziel mutwilliger Beschädigungen gewesen. Vor ein bis zwei Monaten seien am hinteren Aufzug, der zu den Gleisen 2 und 4 führt, die Seitenscheiben eingetreten worden. „Da jeder Aufzug eine Einzelanfertigung ist, kann es dementsprechend auch mal mehrere Wochen dauern, bis die nötigen Ersatzteile beschafft sind“, erklärt Kampschulte die langwierigen Reparaturmaßnahmen.

Rollstuhlfahrer könnten statt des Aufzuges auch den Treppenlift benutzen, jedoch müsse dies vorher rechtzeitig im ServicePoint des Bahnhofs angekündigt werden.

Das Problem dabei: Es muss ein Lift vorhanden sein. Und der muss funktionieren.

Jürgen Schultheiß wollte sich vor einiger Zeit das Musical „Starlight Express“ in Bochum ansehen. Er war schon im Reisebüro und wollte gerade Karten bestellen, als ihm einfiel, dass er erst noch den Aufzug am Bahnhof überprüfen musste. Und der funktionierte nicht. Wie so oft.

„Stellen Sie sich vor, ich hätte die Karten für das Musical gekauft. Ich hätte natürlich auch Zugtickets bezahlt, ein Hotelzimmer gebucht, und was sonst noch alles anfällt bei so einem Ausflug.“ Die Tour wäre ins Wasser gefallen – noch bevor sie begonnen hätte. „Wer erstattet mir denn in so einem Fall die Kosten?“, fragt Schultheiß.

Bahnsprecher Udo Kampschulte muss enttäuschen: „Die Fahrgastrechte erstrecken sich nur auf Zugverspätungen. Bei Vandalismus greifen diese Rechte leider nicht.“

Jürgen Schultheiß bleibt also derzeit nichts anderes übrig, als sich nach anderen Beförderungsmöglichkeiten umzusehen. Der Behindertenbeirat habe ihm geraten, sich einer Fahrgemeinschaft anzuschließen. Doch die sei ihm definitiv zu teuer.

Einen für diese Woche geplanten Besuch der Computerspiel-Messe „Gamescom“ in Köln musste Schultheiß wieder abblasen. „Ich muss doch mobil sein“, sagt er entnervt. „Wenn mir das genommen wird, fühle ich mich wie im Knast.“