Duisburg. . Im Rahmen der Serie „Mein Revier im Wandel“ stellen wir die Entwicklung verschiedener Stadtteile im Ruhrgebiet vor. Duisburg-Hamborn wuchs in kürzester Zeit zur Großstadt, doch es wurde klein gehalten. Aufstieg und Fall einer Industriemetropole...

Ach, Hamborn. Spaziert man heute über den Rathausplatz, kann es einen gruseln, so offen werden am Kiosk krumme Geschäfte getätigt, so ultraviolett scheint das Anti-Fixer-Licht aus den Toiletten, so viele Fachgeschäfte sind schon verloren. Aber Hamborn ist groß, Hamborn ist auch die hübsche Jupp-Kolonie, die historische Abtei, das freundliche Dichterviertel. Der Bezirk im Duisburger Norden hat viele sympathische Gesichter, aber ihm ist der Kern abhanden gekommen: die Arbeiter.

„Als große Industriestadt besteht Hamborn nur noch zur Hälfte“, sagt Historiker Hans Lembeck, 91, der seine Stadt so gut kennt wie kein anderer. „In der einen Hälfte leben die deindustrialisierten Hamborner, in der anderen wartet man auf Touristen.“ Es gibt ja noch eine hochmoderne Kokereien, aber die Bürger nehmen sie kaum mehr wahr, sind kaum noch stolz auf solche Superlative. Hamborn selbst schwindet, eher spricht man heute von seinen Teilen, von Alt-Hamborn, von Marxloh oder Röttgersbach. Aufstieg und Abrutsch einer Industriemetropole: In Hamborn spiegelt sich die Geschichte des gesamten Reviers.

Um die Zechen, um die Hütten herum ist Hamborn entstanden – eine Gründung von August Thyssen, wenn man so will. Auch wenn der Name von Havenburn kommt, was Viehtränke bedeutet und eine idyllische Dorfjugend suggeriert. Aber Hamborn – das war schon 1901 das größte Dorf Preußens mit über 30 000 Einwohnern. Eine Boomtown im Wilden Westen Deutschlands.

Der Zuzug der Arbeiter war enorm. Und schon vor dem Ersten Weltkrieg schwankte der Anteil der Ausländer zwischen 20 und 23 Prozent – er hat sich kaum verändert. Heute leben hier Türken, damals kamen überwiegend Polen, Tschechen, Belgier, Franzosen. So groß war das Sprachengewirr, dass das Rathaus 1914 versuchte, die Kunstsprache Esperanto einzuführen.

Das Verhältnis der Alteingesessenen zu den Ausländern war schon vor dem Krieg problematisch, erinnert sich Lembeck. „Meine Eltern sagten immer: Du gehst mir nicht in die Kolonien rein.“ Dabei war die „No-Go-Area“ schon damals als „Dichterviertel“ bekannt. Drei Gottesdienste gab es jeden Sonntag und üppige Prozessionszüge zu den Feiertagen. So katholisch war das polnisch geprägte Hamborn, dass die Straßenbahnen für Beerdigungen herhalten mussten.

Zum Gründungsmythos gehört die Geburt der Helene Kropp am 23. September 1910. Das Mädchen, das Hamborn zur Großstadt machte. Die 100 000. Bürgerin. Natürlich herrschte damals ein solches Kommen und Gehen in der Stadt, dass man unmöglich die genauen Zahlen kennen konnte. Und allein an diesem Tag wurden acht Kinder geboren. So kungelte man beim Bier im Rathauskeller: Die Wahl sollte auf die Familie fallen, die am längsten in Hamborn wohnte ... Helene Kropp erlitt ein tragisches Schicksal: Ihr Mann kehrte zum Ende des Krieges unversehrt von der Front heim und sie reiste ihm entgegen. Doch in einem Bauernhof wurde sie von Fliegerbomben getötet.

Es mag bildhaft für die Tragik Hamborns stehen, auf den letzten Metern zu scheitern: Helene Kropps Großstadt hatte vor dem Krieg versucht, Dinslaken und Sterkrade einzugemeinden, wurde dann aber selbst von Duisburg „geschluckt“. Der damalige Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres hatte als ehemaliger Reichsinnenminister großen Einfluss; fast wäre er 1925 auch Präsident geworden, verzichtete aber im zweiten Wahlgang zugunsten Hindenburgs. Ein Duisburger als Hebel der Geschichte. Lembecks Theorie: Die feindliche Übernahme Hamborns durch Duisburg wurde genehmigt, weil Hindenburg Jarres zu Dank verpflichtet war.

Kommandant Theo
und der Füllfederhalter

Es ist das Trauma der stolzen Stadt, das sich nach dem Krieg wiederholte. Natürlich unterschrieb Wilhelm Bambach damals als „Oberbürgermeister von Hamborn“. Und ein Vierteljahr lang war die Stadt wieder selbstständig. Hans Lembeck, damals im Schreibwarengeschäft der Eltern, erinnert sich noch, wie er dem Kommandanten Theo eine Auswahl an Füllfederhaltern vorlegen sollte: „Wissen Sie eigentlich, wo Sie hier Quartier bezogen haben?“, fragte er den Amerikaner. „In der Theodorstraße!“ – „Hamborn werde ich nie vergessen“, erwiderte der Kommandant.

Doch als „Cäpt’n Theo“ ging, kamen die Briten, und die wollten keine Sonderfälle schaffen. „Regeln Sie das später“, hieß es zum Unabhängigkeitsbestreben der Hamborner. Und die merkten sehr schnell die Abhängigkeit von Duisburg. Die Stadt bestellte ihre Schreibwaren jedenfalls nicht mehr in Hamborn.