Essen. . Tierschutz-Organisationen sollen bessere Handhabe beispielsweise gegen Tierversuche erhalten. Doch Wissenschaftler reagieren skeptisch.

Klagen kann fast jeder. Der Hauseigentümer, dessen Nachbar seinen Gartenzaun zur Festungsmauer ausbaut. Sogar der Häftling, wenn er in einer zu kleinen Zelle untergebracht ist. Tiere hätten oft Grund zu klagen, weil sie zum Beispiel in zu engen Käfigen hocken. Die Landesregierung will ihren Anwälten, den Tierschützern, nun die Handhabe dazu geben. Mit einem Gesetz, das ihnen das Recht gibt, gerichtlich gegen erteilte Genehmigungen, unter anderem für Tierversuche, vorzugehen. Der Landtag muss allerdings noch zustimmen.

Was für Tierschutzorganisatoren ein „Meilenstein in der Geschichte des Tierschutzes“ wäre, wie Edmund Haferbeck von Peta es nennt, ist für Wissenschaftler eher ein großer Brocken, der ihnen bei der medizinischen Forschung in den Weg gelegt würde. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, „wären die Konsequenzen sehr weitreichend“, warnt Professor Denise Manahan-Vaughan, Standortsvertreterin für Neurowissenschaften an der Ruhr-Uni Bochum. Für sie und ihre Kollegen seien Tierversuche eben manchmal erforderlich, wenn es um medizinischen Fortschritt gehe.

Als Beispiele führt sie die Krebsforschung und Ehec an. „Die Menschen haben damals nach einer schnellen Lösung gerufen. Innerhalb von wenigen Wochen haben Lebenswissenschaftler am Uniklinikum in Münster nicht nur den Krankheitserreger identifiziert, sondern auch einen Schnelltest für Ehec entwickelt. Ohne Tierforschung wäre das aber nicht möglich gewesen“, erklärt sie.

Sollte es so weit kommen, dass Forschungsreihen per Gericht verboten werden, seien viele Arbeits- und Ausbildungsplätze gefährdet. An den Hochschulen in NRW sind laut „Information und Technik NRW“ 6356 Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt, die in den Bereichen Biologie, Medizin, Chemie und Pharmazie arbeiten. Hinzu kommen zahlreiche Mitarbeiter aus privaten Forschungsorganisationen wie den Max-Planck-Instituten.

Denise Manahan-Vaughan kennt die Argumente der Tierversuchs-Gegner. Sie weiß auch, welche Bilder sich in ihren Köpfen eingeprägt haben. Affen, deren Gliedmaßen von Metallstangen auseinandergezogen werden, Kaninchen mit offenen Wunden.

Zu neunzig Prozent
Ratten und Mäuse

Dass es so etwas gibt, bestreiten weder sie, noch der Tierschutzbeauftragte der Uni Bochum, Dr. Matthias Schmidt. „Aber bei siebzig Prozent der Versuche werden Tieren nur Injektionen zum Test neuer Wirkstoffe verabreicht. Zudem werden zu neunzig Prozent Mäuse und Ratten in der Forschung verwendet“, sagt Schmidt. Er wolle nichts schönreden, nur klarmachen, wie streng Tierversuche kontrolliert werden. „Die Vorgänge müssen bis ins kleinste Detail vorgelegt werden“, erklärt er. Von der Planung einer Forschungsreihe bis zur ersten Injektion sei es in NRW ein langer Weg.

Der Tierschutzbeauftragte einer Forschungseinrichtung überprüft den Genehmigungsantrag. Er berät, weist auf Gesetzeslücken hin und spricht Empfehlungen aus. Das Schriftstück geht weiter in die Tierschutzabteilung des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz. Dort entscheidet eine Ethikkommission aus Tierschutzbeauftragten, Juristen und Tierärzten, ob die Versuche dem Tierschutzgesetz entsprechen und durchgeführt werden können. Sollte das der Fall sein, werden diese vom Veterinäramt kontrolliert. Dazu gehören auch unangemeldete Besuche im Labor.

„Die Lebenswissenschaftler in Nordrhein Westfalen sind sich ihrer Verantwortung sehr bewusst“, betont Manahan-Vaughan und findet: „Die Kontrollen sind ausreichend.“ Sie und Schmidt verstehen deshalb nicht, warum das Land eine weitere Kontrollinstanz für nötig hält.

Peta rechnet nicht
mit einer Klageflut

Das Ministerium relativiert die Befürchtungen der Wissenschaftler. Das neue Gesetz diene in erster Linie dazu, den Tieren – durch die Tierschutzvereine – ein Klagerecht zu geben. „Es geht nicht darum, Tierversuche zu verhindern. Die Tiere sollen eine Stimme bekommen“, sagt Wilhelm Deitermann, Sprecher des Umwelt-Ministeriums. Außerdem könne nicht jeder Tierschutzverein klagen. Er müsse nachweisen können, dass er sich über Jahre für den Tierschutz eingesetzt hat und sich eine Klage finanziell leisten kann. In NRW sind das rund ein Duzend. Die Gerichtskosten richten sich nach dem Streitwert. Läge der beispielsweise bei 5000 Euro, kämen auf die Tierschutzvereine 363 Euro zu – ohne Anwälte.

Für die Tierschutzorganisation Peta kann es nicht genug Kontrollinstanzen geben. „Das Gesetz in NRW wäre ein Wegbereiter für einen besseren Tierschutz“, sagt Edmund Haferbeck. Mit einer Klageflut rechnet auch er nicht. „Aber wir werden ganz genau hinschauen, in welchen Fällen es Möglichkeiten für uns gibt.“