Duisburg. .

Das Grauen, die Trauer um die Opfer der Loveparade-Katastrophe gehen immer mit auf dem Weg durch den Karl-Lehr-Tunnel in Duisburg. Sie lähmen den Schritt, lassen Autos langsamer fahren. Gibt es Licht am Ende des Tunnels?

Dieser Ort ist schon immer ein dunkler gewesen. Ein Angstraum, auch ohne seine Geschichte. Bedrohlich nah neigen sich die endlosen Wände des Tunnels seiner Mitte zu, die stockfleckigen Steinmauern sind schwarz geworden von den Abgasen der Jahrzehnte; der Schein der Neonröhren, wenn sie überhaupt noch leuchten, ist kalt und fahl. Und dann dieses Dröhnen, der Verkehr hallt in der Röhre, von oben schallt die Autobahn.

Man möchte den Kopf einziehen, doch wer hierher geht, gehen muss, der hält ihn ohnehin gesenkt. Weil der Kopf voll ist von noch mehr Eindrüc­ken, von Erinnerungen, Bildern: viele Menschen, Musik, Gedränge, Angst, Tod. Hier starben vor einem Jahr 21 junge Leute auf ihrem Weg zur Loveparade. Das Grauen, die Trauer gehen immer mit auf dem Weg durch den Karl-Lehr-Tunnel in Duisburg, sie lähmen den Schritt, lassen Autos langsamer fahren. Ein Künstler hat die dunkle Szenerie kürzlich so gemalt: Am Ende des Tunnels ist kein Licht.

Die Grablichter sind fort, jemand hat auch ihre Wachsreste vom Asphalt entfernt, es gibt keine Blumen, keine Graffiti mehr, alle Farbe ist von diesem Ort gewichen. Nur die 21 roten Herzen an der Wand haben sie nicht weggewischt, es hängen noch das Trauer-Transparent des Loveparade-Teams, ein Plakat „Gegen das Vergessen“ und an einem Bauzaun der letzte grau-braune Rest eines Gestecks. Mit Drahtbürsten hat ein Student Figuren in den Schmutz der Tunnelwände gekratzt, eine Menschenmenge an beiden Seiten bis zum Ausgang, beklemmend lebensgroß – sie sehen aus wie Geister.

Duisburg hat sich stets schwer getan mit der Frage, wie es seiner Katastrophe gedenken will

Foto: Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool
Foto: Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Nur hier und da knallt grelles Pink ins Grau, Markierungen von Vermessungsingenieuren. Es wird hier gebaut, das steht schon lange fest: Auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs, wo am 24. Juli 2010 die Musikwagen ihre gefeierten Runden drehten, entsteht ein Einrichtungszentrum. Der Bebauungsplan für diese „Duisburger Freiheit“ ließ dabei bislang keinen Platz, um den Unglücksort zu erhalten; der Möbelriese hätte die Rampe, an der es zur Massenpanik kam, geschluckt. Bürger und Angehörige kämpften fast ein Jahr, nun haben sie offenbar Erfolg: In der vergangenen Woche beschloss der Stadtrat, seine Pläne zu ändern. Wie, ist offen.

Ohnehin hat sich Duisburg stets schwer getan mit der Frage, wie es seiner Katastrophe gedenken will. Sechs Wochen danach ruhte im Tunnel der Verkehr, dann wurden die abgelegten Kerzen und Erinnerungsstücke in einem gläsernen Kubus gesammelt. Schon wenige Tage nach der Loveparade gründete sich der „Bürgerkreis Gedenken“, die „Initiative Spendentrauermarsch“ sammelte Geld für ein Mahnmal. Manchem gingen die Verhandlungen, die Jurysitzungen über 44 Entwürfen zwischen Monströsität und Banalität, das beinahe verzweifelte Bemühen, das Richtige zu tun, nicht schnell genug.

„Sie kamen, um zu feiern, und fanden den Tod“

Foto: Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool
Foto: Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Am Ende steht jetzt ein Mahnmal am östlichen Tunnelausgang, auf einer erhöhten Wiese. Eine abstrakte Stätte aus Stahl mit 21 Stelen, die dahinter zu Boden stürzen. „Sie kamen, um zu feiern, und fanden den Tod“, steht auf einer Tafel, darunter eine Liste mit den Namen der Toten. Nicht alle sind ausgeschrieben, an einige erinnern nur die Initialen. Denn viele Angehörige und Überlebende können sich mit dem Platz neben einem Lebensmittel-Discounter nicht identifizieren, dies ist nicht der Ort, an dem ihre Kinder gestorben sind. Sie wollen dort an sie denken, am Aufgang der Rampe.

Dort stehen die gelben Bagger einer auf dem Gelände ansässigen Baufirma, es sieht aus, als würden sie sich verbeugen. Gegenüber hat der Verein „Never forget“ den Fuß der Treppe gleich nach dem Unglück gewissermaßen „besetzt“. Vom ersten Tag an stellen die Mitglieder hier regelmäßig Kerzen auf, mittlerweile ist unter der kleinen Gedenktafel, die die Stadt im September hier aufhängte, eine kleine private Gedenkstätte entstanden.

Sie haben Gras eingesät und Weinstöcke an die Mauer gesetzt, hinter den Sperrzäunen trotzen ein paar Geranien dem tristen Stein. Ein niedriger weißer Zaun umrahmt die Szene, kürzlich hat jemand einen Rasenmäher gestiftet. Auf jede Stufe der Treppe nach oben, bei der Loveparade für viele unerreichbarer Fluchtweg, hat „Never forget“ ein Holzkreuz gestellt mit den Vornamen der Toten, der Aufschrift „RIP“ (Ruhe in Frieden) und einer kleinen Flagge aus dem Herkunftsland: Italien, Spanien, China, Australien, Deutschland. Schieferherzen hängen darunter mit Gedenksprüchen, weitere Sätze sollen Besucher auf Steine malen; Stifte liegen bereit.

Als würde ein Fremder die Gräber schmücken

Nicht alle Hinterbliebenen mögen das, es ist, als würde ein Fremder die Gräber ihrer Lieben schmücken. Sie finden, der Zierrat aus Bändchen, Bildchen, Blümchen verfremde den hässlichen Ort. Aber was sollen sie tun, dies ist die Stelle, wo sie ihre Kinder suchen und besuchen. Sie haben also Fotos gestellt mitten in dieses Sammelsurium aus Gedenk-Gegenständen, einen Weihnachtsbrief, einen Glückwunsch zu einem Geburtstag, den niemand mehr feiert.

Am Jahrestag des Unglücks, nach der Trauerfeier, werden die Familien gemeinsam dort hingehen. Es wird wieder dunkel sein im Tunnel, aber ausnahmsweise still: Für den Verkehr wird die Straße gesperrt.