Heeren-Werve. .
Was kann es für eine 17-Jährige Schöneres geben, als in ein und demselben Jahr zwei Mal Sommerferien zu bekommen? Antwort: Nur ein Mal Ferien zu bekommen – die dafür aber umso länger. Vielleicht klappt’s ja, und das Unnaer Geschwister-Scholl-Gymnasium zeigt sich gnädig gegenüber Anna Kwiatkowski und beordert sie nicht mehr zum Unterricht. Die Heerenerin ist vor fünf Tagen von einem Auslandsjahr in den USA zurück gekehrt. Dort drüben, im Bundesstaat Missouri, hatten die Ferien schon angefangen, ihr Zeugnis – übrigens ein ganz hervorragendes – hat Anna längst in der Tasche. Und dann das: Ferienbeginn in Nordrhein-Westfalen erst Ende Juli. Tja.
Egal, wie die Geschichte mit den Ferien ausgeht: Anna hat grandiose elf Monate hinter sich, gespickt mit Eindrücken und Erlebnissen, die ein deutsches Schuljahr ihr wohl kaum geboten hätte. Der Reihe nach: Dass sie ins Ausland wollte, war dem Teenager schon lange klar. Bei einer von der Schule angebotenen Info-Veranstaltung kam Anna auf den Geschmack, es mit Nordamerika zu probieren. Sie schrieb Bewerbungen an Austausch-Organisationen – und siehe da: Es klappte. So spielte sich denn das Leben der jungen Dame vorübergehend in einem Ort namens Carterville ab. Das war in mancher Hinsicht gewöhnungsbedürftig. Etwa in Sachen Schule: „Die fängt früher an und dauert länger als bei uns.“ Etwa in Sachen Familie: Plötzlich war Anna „die Große“ neben Gastbruder und Gastschwester, während sie in der eigenen Familie doch die Rolle der „kleinen Schwester“ ausfüllt.
Dennoch: Das Zurechtfinden fiel leicht. Die Gasteltern erwiesen sich als Glücksgriff, und: „Die Menschen in den USA gehen viel offener und herzlicher auf einen zu als in Deutschland“, hat Anna beobachtet. Ob Thanksgiving-Truthahn oder generalstabsmäßiges Plündern gigantischer Einkaufstempel an Schlussverkaufstagen: Anna hat die verschiedensten Eigenheiten der Vereinigten Staaten „mitgenommen“, samt Abstecher nach New York. Klar, dass bei allem Wohlgefühl auch Melancholie aufkam: Weihnachten war schlimm, ein einziger Tränenfluss – „ich hab’ den ganzen Tag geheult“. Annas Geburtstag im November hat Familie Kwiatkowski diesseits wie jenseits des Atlantiks per Facebook gefeiert, Video vom Auspusten der Kerzen auf Heeren-Werver Grund und Boden inklusive.
Ein einziges Mal gab es einen regelrechten Schock: Als Sabine und Dieter Kwiatkowski vom Hurrikan in Joplin hörten, ein paar Kilometer von Carterville entfernt. Zum Glück stand schnell fest: Anna war nichts passiert. Sie half vielmehr mit beim Aufräumen nach der Naturkatastrophe mit über hundert Toten. Die Bilder wirken nach – und das Leben in einer fremden Sprache wohl auch: Vorigen Mittwoch, nach der Landung, musste Anna erst lernen, von Englisch auf Deutsch umzuschalten. Kaum in Heeren angekommen, fuhr sie zu ihrer alten Schule: Rückmeldung, großes Hallo. In zwei Jahren will Anna das Abitur machen. Und dann – zum Studieren wieder in die Staaten? Doch, ja, sagt sie – möglich wär’s.