Lünen/Dortmund. .

„Achtung an den Kanten, wir fahren runter!“ Dramaturg Michael Eickhoff vom Dortmunder Schauspielhaus gibt seine Anweisungen an die Sänger des „MGV Harmonie Zeche Victoria Lünen“. Die treten im Theaterstück „Heimat unter Erde“ auf.

Sie fahren mit dem Bühnenfahrstuhl herunter. „Wie früher auf der Zeche, gleich sind wir schon auf zehnten Sohle“, meint einer aus der Gruppe. Für das Stück, das die Geschichte des Ruhrbergbaus der letzten 50 Jahre erzählt und die Fragen der Motive und der Integration der türkischen Gastarbeiter aufwirft, hatte das Dortmunder Schauspielhaus Darsteller aus der Bevölkerung gesucht. „Man suchte Leute, die mit dem Bergbau zu tun hatten und die mit kräftigen Stimmen Bergmannslieder singen konnten. Da unser Chor genau diesen Anforderungen entsprach, haben wir alle Konkurrenten weit hinter uns gelassen“, verrät Chorleiter Hendryk Hans nicht ohne Stolz, „so können wir zeigen, dass wir auch im 90. Jahr unseres Bestehens und trotz des Durchschnittsalters von 74 Jahren Neuem gegenüber aufgeschlossen sind.“

Nahezu alle 34 Sänger haben früher auf den umliegenden Zechen Victoria, Minister Achenbach, Stein/Hardenberg oder bei Zulieferfirmen gearbeitet. Ihre Verbundenheit mit dem Bergbau merkt man noch heute. Bereits an der Bushaltestelle in Lünen tragen sie ihre traditionelle Kluft, die blau-weiß gestreiften Hemden und die hellen Arbeitshosen. Auch die Gesprächsinhalte im Bus kreisen häufig um die Vergangenheit. Nachdem die Truppe ins Theater eingerückt ist, erinnert die Garderobe mit den herumliegenden Helmen und Lampen stark an die „Weißkaue“ der Zechen. Man begrüßt sich mit einem „Glück auf“, und der kameradschaftliche Umgangston zwischen Sängern, Schauspielern, Zeitzeugen und Technikern benutzt wie selbstverständlich das „Du“ der Kumpel.

Leichte Panik 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Der Aufzug klemmt und die Sänger können nicht hochfahren. Der Dramaturg schimpft auf die veraltete Bühnen-Technik. Schließlich werden die Sänger umgruppiert und die Lasten neu verteilt. Der „Förderkorb“ fährt in die Höhe. Allgemeines Aufatmen. Vor dem Auftritt bekommt jeder von „Marketender“ Friedhelm ein Pinnchen mit einem guten „Cappenberger Tröpfchen“, denn schließlich erhielten die Bergleute früher auch auf machen Zechen ihre tägliche Schnapsration, damit sie die Gefahren verdrängten und den Staub besser schlucken konnten.

Bei der Aufführung wird schnell klar, dass die Lüner Sänger keinesfalls als Statisten agieren, sondern dass sie voll in die Dramaturgie des Stücks eingebunden sind. Ihr Lied „Schlagende Wetter sind ausgebrochen, schlagende Wetter sind unser Tod“, das mit einer lautstarken Schlagwetterexplosion endet, verdeutlicht die Gefahr des Bergmannsberufs und die Einstellung der Grubenherrn: „Was kümmern uns die Toten, wenn die Fördermenge stimmt.“ Mit ihrem Hintergrundgesang verleihen sie der Hochzeit des türkischen Gastarbeiters mit der Tochter des Direktor das romantische Fluidum. Ihr stiller Gang in die Kaue und das Ausziehen der Arbeitskleidung verdeutlicht das einsetzende Zechensterben. Als sie zum Schluss mit den drei Zeitzeugen voll Inbrunst das Steigerlied anstimmen, singt auch das Publikum lautstark mit.

„Heimat unter Erde“ veranschaulicht eindrucksvoll, wie die Unternehmer damals händeringend nach ausländischen Arbeitskräften riefen, um den Profit zu steigern, ohne daran zu denken, dass der Produktionsfaktor Arbeit immer auch mit menschlichen Schicksalen verbunden ist. Die beiden letzten Vorstellungen dieses absolut sehenswerten Stückes sind am 29. Mai und 3. Juni im Dortmunder Schauspielhaus, Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr.