Kaiserau. .
Als die große schwarze Wolke kam, da war Katsiaryna Rineyskaya mit ihren Kindern im Garten. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, sie hat Blumen gepflanzt, die drei Kinder haben gespielt. Und plötzlich, ganz plötzlich, war alles dunkel und voller Staub, alle haben geschrien, vor Angst. Sie liefen ins Haus, warteten, bis die Wolke vorbeigezogen war. Niemand hat ihnen erklärt, was das für eine Wolke war, die da am 26. April 1986 über ihnen schwebte und ihre Welt für immer verändern würde. Erst am 5. Mai erfuhr die Familie Rineyskaya von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl.
Zeitzeugen kämpfen gegen das Vergessen
Sie wie Tausende andere haben seitdem leiden müssen, körperlich und seelisch, mussten mit Halbwahrheiten, Lügen, Drohungen und in einer Welt leben, die für sie nicht mehr die alte war. „Ich werde, solange ich lebe, jedem unsere Geschichte erzählen“, sagt Katsiaryna Rineyskaya mit Tränen in den Augen. Als Zeitzeugin begleitet sie die Ausstellung „25 Jahre nach Tschernobyl“ im SportCentrum Kaiserau. Immer wieder beantwortet die 69-Jährige die fast immer gleichen Fragen. Sie erzählt die Geschichte ihrer Familie, ihre eigene und die ihres Mannes, der damals gezwungen wurde, als Liquidator nach Tschernobyl zu gehen. Drei Tage war er fort, er ging mit schwarzen Haaren, und als er zurückkam, waren sie grau und er ein anderer Mensch. Immer wieder hat er nach seiner Rückkehr seine Tochter und die beiden Söhne geküsst und gedrückt. Seine Hände haben unablässig gezittert, zwölf Jahre hat er krankheitsbedingt nur im Bett verbracht. 1991 wurde die Familie nach Minsk umgesiedelt. Ihr Mann, Liquidator von Tschernobyl und Invalide ersten Grades, starb 2009.
Katsiaryna Rineyskaya, Rentnerin und selbst Tschernobyl-Invalidin, lebt und erzählt. Damit nichts vergessen wird. Auch Waleri Fjodorowitsch Risowannyi, der gelernte Elektroingenieur, der von Januar bis Mai 1987 als Liquidator und stellvertretender Kommandeur für Dekontamination im Einsatz war, kämpft gegen das Vergessen. „Die Hälfte meiner Seele ist für immer in Tschernobyl geblieben,“ sagt der 55-Jährige. „Das war mein eigener Krieg“. Heute teilt er sein Leben in die Zeit vor und die Zeit nach Tschernobyl. Kann nichts vergessen von dem, was damals geschehen ist. Die Informationen über das Reaktorunglück, die die Bevölkerung viel zu spät erreichten, die Einsätze mit seinen Soldaten im dekontaminierten Gelände nahe des vierten Blocks, der damals explodiert ist. Er kämpft dafür, dass „die Welt endlich begreift, wie wichtig der Atomausstieg ist.“ Fukushima habe gezeigt, dass die Menschen bisher nur wenig dazu gelernt hätten. Deshalb stellt sich auch Waleri Fjodorowitsch Risowannyi jetzt als Zeitzeuge zur Verfügung. Damit niemand vergisst, was geschehen ist und sich endlich etwas ändert.