Lüdenscheid. .
Die Situation ist eigentlich ein bisschen skurril: Am Redepult im Ratssaal steht ein Belgier, ein Flame aus Brügge, um genauer zu sein, und erklärt alteingesessenen Lüdenscheidern ihre Stadt.
Willy Kaiser (68) kennt sich aus in Lüdenscheid. Noch besser als an den anderen Standorten, wo er mit den belgischen Streitkräften stationiert war. Lüdenscheid ist seine Wahlheimat geworden und er Stadtführer. Lüdenscheid kann er auswendig. Auf deutsch, auf flämisch und französisch.
Führung ist wie Zeitreise
Die Truppe, mit der er gestern unterwegs war, kennt sich gut. Jahrzehntelang haben die Männer zusammen Faustball gespielt. Doch der Sportart fehlte der Nachwuchs – und den älteren Aktiven der Sport. „Irgendetwas müssen wir tun“, schildert Wanderführer Rolf Albach die Lage. Seit Jahren gehen sie schon gemeinsam und mit ihren Frauen wandern. Eigentlich jeden Mittwoch. Gestern nicht. Sie haben bei ihrem Wanderkameraden Willy Kaiser eine Stadtführung in Auftrag gegeben.
Und die Führung ist eindrucksvoll. Rund eine Stunde dauert die Zeitreise vom Ratssaal durch Wilhelmstraße und Altstadt bis in die Oberstadt, und am Reidemeister ist noch lange nicht Schluss – auch wenn die Gruppe dort gerne Station gemacht hätte. „Hier bin ich im Leben noch nicht gewesen“, sagt eine der Teilnehmerinnen an der Corneliusstraße in einem Hinterhof, wo ein Stück der Original-Stadtmauer stehen geblieben ist. „Wenn Steine sprechen könnten...“.
Erinnerungen ans „Caramba“
Andere Stellen sind noch von früher durchaus bekannt. An der Altstadtbühne werden Erinnerungen wach – nicht unbedingt an das Krankenhaus, das dort einmal untergebracht war, aber an das „Caramba“, wo es früher hoch her ging. Und an der Ecke daneben steht die Fleischerei Feckter. „Hier musste ich immer Fleischwurst holen für die ganze Kolonne“, erinnert sich der Nächste.
Auch der Platz des Femegerichts ist vielen unbekannt. Recht gesprochen wurde vor dem Stadttor, da wo jetzt die Wendeplatte der Corneliusstraße liegt. Dass es dort eine schmale Treppenstiege zur Ringmauerstraße gibt, hatten die meisten Teilnehmer auch vergessen. Anderes nicht: „Bei Panne habe ich kochen gelernt.“
So geht es weiter durch die Stadt mit ihren beiden Brunnen, mit dem für Lüdenscheid untypischen Kohleschacht am Haus Ringmauerstraße 12 und der K. T. Neumann-Skulptur am kleinen Prinzen. Ein letztes Zitat noch vom Anfang der Führung fasst die Sache vielleicht am besten zusammen: „Überall macht man Besichtigungen mit – und in der Heimat kennt man sich nicht aus.“