Lünen. .

Wenn das gesamte Bühnengeschehen daraus besteht, dass ein Mann auf einem Bürostuhl vor einem Klavier sitzt, das er erst gegen Ende der Vorstellung einsetzt, und wenn dieser Mann trotzdem drei Stunden lang die Zuschauer in seinen Bann zieht, dann muss die gesamte Anziehungskraft von seinen Worten ausgehen.

Hagen Rether schaffte es am Donnerstag im ausverkauften Heinz-Hilpert-Theater, für Lachen, Spannung – und vor allem für Nachdenklichkeit zu sorgen.

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© Diethelm Textoris

Obwohl alle seine Programme bisher „Liebe“ heißen, ist Rether alles andere als lieb. Gewiss, er schafft vom ersten Augenblick an eine „Kammerspiel-Atmosphäre“, eine intime Verbindung zum Publikum, die den Eindruck aufkommen lässt, ein kluger Mann entwickele auf dem heimischen Sofa im Plauderton sein Weltbild.

Doch der Schein trügt. Unter den deutschen Kabarettisten ist Hagen Rether einer der radikalsten. Er seziert gnadenlos, ist zynisch und sarkastisch. So legte er auch diesmal wieder die Finger auf alle möglichen Wunden und durchleuchtete die Schizophrenie des menschlichen Denkens und Handelns. Kaum ein Thema wurde ausgespart, aktuelle Ereignisse mit eingeflochten und satirisch verarbeitet. So verglich er den Informationswirrwarr um das japanische Reaktorunglück mit einem Hütchenspiel, plädierte für den Anschluss Lampedusas an Tunesien und wünschte sich jede Menge Landtagswahlen, wenn die dazu führen, dass die Politiker vernünftigere Entscheidungen treffen.

Von Stasi-Angst bis
zur Steuerhinterziehung

Überall entdeckte er Widersprüchlichkeiten: „Zumwinkel wird wegen 1,5 Millionen Steuerhinterziehung abgeführt, Michael Schumacher bringt ein Mehrfaches in der Schweiz in Sicherheit und ist nach wie vor ein angesehener Sportler“. Oder im Bereich der Politik: „Wer vor einem Untersuchungsausschuss lügt, kann immerhin noch Bundesfinanzminister werden.“

Die katholische Kirche nahm er gleich mehrfach aufs Korn: „Polanski wird wegen einer vermuteten Vergewaltigung heute noch verfolgt, als katholischer Priester wäre er höchstens in die Nachbargemeinde versetzt worden.“ Und der oberste Hirte muss vor seinen eigenen Schafen geschützt werden, predigt Gottvertrauen und fährt im panzerglasgeschützten „Papamobil“. „Statt in die Zukunft unserer Kinder zu investieren, geben das Geld für bombastische Verkehrs- und Militärprojekte aus.“ Dann gebe es noch die von den Medien geschürten Ängste, die von den tatsächlichen Bedrohungen ablenken: Angst vor Zecken, vor dem Islam, vor terroristischen Bedrohungen, vor Stasiunterwanderung.

Der Desperado

Rether will, dass wir auch über das nachdenken, was uns als lieb und wert ist: unsere Ess- und Trinkgewohnheiten, unseren Fernreisewahn, unseren Medienkonsum und unseren als Tradition geschützten alltäglichen Irrsinn. In diesen Zusammenhang passten seine Lieder zum Abschluss: „Look, what we’ve done to the world.“ Gelingt uns ein Innehalten mit Kurswechsel, oder bleibt Rether der „Desperado“, der einen aussichtslosen Kampf gegen tief verwurzelte Dummheit führt?