Gnadenlos schmettert der Wecker seine Weckmelodie. Müde streicht sich Kim (15) ihr zerzaustes Haar aus dem Gesicht. Früher, als sie noch in die Grundschule ging, ist sie fast eine Stunde später aus dem Bett gekrochen. Zähne putzen, kämmen, frühstücken – ab in die Schule. Geduscht wurde abends. Heute scheint ihr morgens die Zeit einfach wegzurennen.

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Gnadenlos schmettert der Wecker seine Weckmelodie. Müde streicht sich Kim (15) ihr zerzaustes Haar aus dem Gesicht. Früher, als sie noch in die Grundschule ging, ist sie fast eine Stunde später aus dem Bett gekrochen. Zähne putzen, kämmen, frühstücken – ab in die Schule. Geduscht wurde abends. Heute scheint ihr morgens die Zeit einfach wegzurennen. Kim duscht jetzt immer vor der Schule. Das ist praktischer. Dann kann sie ihre Haare bändigen, die nachts ein Eigenleben führen. Föhnen, glätten, sprayen: Das kostet Zeit. Sie will sich schön machen. Aber nicht um aufzufallen – eher um nicht aufzufallen.

Was bedeutet Schönsein für dich? „Schönsein“, sagt Kim ausweichend, „Schönsein ist doch nicht alles. Der Charakter zählt.“ Trotzdem schwingt sie sich gähnend um 5:46 aus dem Bett, duscht, cremt und föhnt sich. Das normale Morgenprogramm eben. Das Frühstück muss ausfallen, die Zeit ist mal wieder vorgerannt.

Das eigene Aussehen, die Frage „Bin ich hübsch?“ spielt in der Pubertät eine wichtige Rolle. „Es ist die Zeit, in der sich das Körperbewusstsein weiterentwickelt“, weiß Joachim Rüttimann, der als Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche in der Psychologischen Beratungsstelle des Kreises Unna tätig ist. Man vergleicht sich mit anderen – meist unbewusst. Wer hat den besten Körperbau? Wer die schönsten Haare? Der kritische Vergleich führt mitunter dazu, dass die Jugendlichen sich in Frage stellen. „Der Gedanke, dass etwas mit dem eigenen Aussehen nicht stimmt, ist falsch. Es stimmt etwas nicht dem Selbstwertgefühl“, so Rüttimann.

Manch eine(r) hofft, dass mit einer Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes die Selbst-Zufriedenheit wächst. Zum Beispiel, indem man sich ein Tattoo stechen lässt. Das beobachtet Hendrik Degenhardt, Tätowierer im Tattoostudio Olaf Kraus in Unna: Immer mehr Jugendliche wollen genau das Symbol, das ihr Star auf dem Unterarm trägt, auf ihrem Körper verewigen. Ein Wunsch, den Degenhardt nicht ohne die Unterschrift der Eltern und eine Moralpredigt erfüllt. Für ihn bedeutet Schönheit immer auch Individualität.

9.50In der Pause trifft Kim auf dem Schulhof Olga und Vanessa. „Ey, dein Band-T-Shirt ist ja cool“, meint Vanessa. Olga jedoch wird frech: „Das Hellblau geht ja gar nicht. Meine Cousine sagt immer, Hellblau ist die Farbe der Hässlichen.“ Kim fühlt sich gedisst. Aber sie hält dagegen: „Das T-Shirt hat mir mein Freund aus Amsterdam mitgebracht. Er findet es an mir ganz süß.“ Wer genau hinhört, spürt: Hier geht es um mehr als Kleidung...

„Schönheit ist eine Art Gruppenzwang. Wenn die anderen total gestylt sind, dann will man das auch. Man will dazu gehören“, bringt es Lea Schwake, Schülerin am Clara-Schumann-Gymnasium auf den Punkt. Und so werden Klamotten gekauft, Frisuren ausprobiert, das Aussehen aufpoliert. Und was ist mit den inneren Werte, die nicht auf den ersten Blick zu erfassen sind? Ein perfekter Körper, ein hübsches Gesicht – das alles reicht Karin Kelly, Inhaberin einer Dortmunder Model-Agentur, nicht: „Ausstrahlung, Auftreten und Charisma, darauf kommt es an. Die Natürlichkeit muss erhalten bleiben, sonst verliert man Persönlichkeit.“

Models und ihre Mager-Figur sind für viele Mädchen ein Schönheitsideal. „Mir ist es wichtig, dass ich nicht dick bin“, sagt Kim. Claudia Boric, die Leiterin des Weight-Watchers Center in Dortmund, kennt den Kampf gegen die Kilos. Ihre jüngste Kursteilnehmerin ist gerade einmal zehn Jahre alt. Die Jugendlichen, die mit Hilfe der Ernährungsumstellung abnehmen wollen, haben meist schon mehrere Diäten und einen langen Leidensweg hinter sich. Hänseleien in der Schule, Schamgefühl beim Umziehen vor dem Sport. Schlank sein, so Boric, ist für die Jugendlichen enorm wichtig. Ben Blume, Leiter des Freestyle Fitnesscenters in Unna, nickt: „Junge Frauen kommen hauptsächlich, um ihr Gewicht zu reduzieren. Jungs wollen Muskeln. Und alle legen Wert auf schicke Sport-Outfits.“

14.30Kim kommt aus der Schule nach Hause, findet im Briefkasten einen Flyer. „Dauerhafte Haarentfernung durch modernste Lichttechnik“ wird dort angepriesen. „Ob das wohl weh tut?“ überlegt Kim.

Dr. Stefan Schill arbeitet als Arzt für plastische Chirurgie. Er hat Patienten, die im Alter von 16 Jahren Schönheitsoperationen wollen: größere Brüste, kleinere Nase, angelegte Ohren. Eine neue Nase gibt es allerdings nicht auf Rezept. Die Operation ist teuer. Kostenlos sind die klaren Worte des Chirurgen: „Schönheit ist nie loszulösen von der Persönlichkeit. Schönheit ist immer eine Form der Ausstrahlung.“

„Stimmt, jeder bewertet Schönsein anders“, sagt Kim, die sich auch weiterhin stylen will. „Man kann nicht jedem gefallen“, findet sie: „Wichtig ist, dass ich mir selbst gefalle!“