Kirsten hält die Hände auf die Ohren, drückt ganz feste zu und verkriecht sich unter ihrer Bettdecke. Die 13-Jährige ist aus der Küche geflohen und hat laut die Tür hinter sich zugeschlagen. Mama und Papa streiten mal wieder. Eigentlich tun sie das nur noch. Was ihr Kind dabei empfindet, scheint die beiden nicht zu interessieren.

Kirsten hält die Hände auf die Ohren, drückt ganz feste zu und verkriecht sich unter ihrer Bettdecke. Die 13-Jährige ist aus der Küche geflohen und hat laut die Tür hinter sich zugeschlagen. Mama und Papa streiten mal wieder. Eigentlich tun sie das nur noch. Was ihr Kind dabei empfindet, scheint die beiden nicht zu interessieren. Doch Kirsten hofft noch immer, dass es ihr nicht so ergeht wie ihrer besten Freundin Sandra. Sandras Eltern haben sich vor anderthalb Jahren getrennt, seitdem wohnt die 14-Jährige alleine mit der Mutter.

Kirsten und Sandra sind keine Einzelfälle: 91 474 Ehen mit minderjährigen Kindern wurden 2009 in Deutschland geschieden, in Unna sind es jährlich knapp 200. „Gerade jüngere Kinder fühlen sich häufig schuldig an der Trennung der Eltern“, weiß Frank Zimmer, Pädagoge beim Kinderschutzbund. Der Grund: Im Affekt sagen Mama und Papa manchmal Dinge, die sich auch gegen die Kinder richten.

Die Erwachsenen, so Zimmer, sollten so ehrlich wie möglich mit der Situation umgehen. Eine Trennung der Eltern bedeutet nämlich keineswegs die Trennung eines Elternteils von den Kindern. „Leider erzählen Eltern, wenn es kriselt, meist sehr wenig“, sagt der 53-Jährige. Sachliche Aufklärung aber ist wichtig. „Das können schon Sechsjährige verstehen. Sie müssen wissen: Mama und Papa sind beide weiterhin als Eltern für mich da.“

Scheiden tut weh – auch den Kindern. Typische Symptome sind Leistungsabfall in der Schule, ein geringes Selbstwertgefühl, Essstörungen oder plötzliches Bettnässen. Es kommt auch vor, dass die Jugendlichen sich übertrieben erwachsen verhalten, um ihre Ablösung vom Elternhaus zu verschärfen. „Eine Trennung, bei der die Eltern um das Sorgerecht streiten, ist eine erhebliche psychische Belastung. Die Kinder sollen Partei ergreifen, werden zum Partnerersatz, bei dem die Erwachsenen sich ausweinen“, sagt Thomas Köster, Leiter der Sozialen Dienste im Unnaer Jugendamt.

Sandra kennt das aus schmerzhafter Erfahrung. „Man steht zwischen seinen Eltern und weiß nicht, wie man sich verhalten soll“, erzählt die 14-Jährige: „Das Schlimmste fand ich, dass meine Eltern sich ständig gegenseitig schlechtgemacht haben.“ Die Kinder nämlich wollen neutral sein und loyal bleiben. Sie versuchen, dem Elternteil zu gefallen, bei dem sie sich gerade aufhalten. Sie wollen zeigen: „Egal, was zwischen euch ist, ist hab dich trotzdem lieb!“ Aber die Eltern zoffen sich schließlich darüber, bei wem es dem Kind denn nun besser geht...

Das kann dazu führen, dass Trennungskinder irgendwann verstummen: Aus Angst vor weiterem Streit. Aus Angst, sich auf eine Seite schlagen zu müssen. Sie igeln sich ein. Jungs werden oft aggressiv, Mädchen reagieren mit psychischen Störungen. Zum Beispiel fügen sie sich selbst Schmerzen zu, stechen sich mit einem Zirkel oder fangen an, sich zu ritzen.

Die Trennung wirklich begreifen – das ist ein langwieriger Prozess: „Jetzt, wo ich meinen Vater fast nie mehr sehe, begreife ich erst, dass meine Eltern wirklich nicht mehr zusammen sind“ berichtet Sandra. Klar wird die Endgültigkeit vielen Kindern erst, wenn ein neuer Partner auftaucht. „Wichtig ist festzuhalten, dass ein neuer Partner nicht Mama und Papa ersetzen kann,“ sagt die Dortmunder Psychologin Reinhild Temming: Aber eine erweiterte Familie, eine so genannte Patchwork-Familie, kann man auch als Chance begreifen, als etwas, das das Leben bereichert.

Pfarrer Dirk Heckmann bietet beim Kirchenkreis Unna eine Anlaufstelle für Männer in Trennungssituationen an. Er weiß von Müttern, die geregelte Besuchskontakte einfach unterlaufen: „Ein Gericht kann zwar Zeiten regeln, nicht aber in private Kreise einwirken.“ Schwierig ist oft auch die neue Wohnsituation der Männer, die oft keine normale Umgebung bieten können: „Ich kenne Väter, die in 25 Quadratmeter-Wohnungen mit Schlaf-, Wohnzimmer und Kochnische wohnen. Da gibt es für die drei Kinder, die am Wochenende zu Besuch sind, kaum Rückzugsmöglichkeiten.“

Trennungskinder entwickeln sich besser, wenn sie eine erwachsene Vertrauensperson an ihrer Seite haben. Jemand, der nicht parteiisch ist. Das kann eine Nachbarin, ein Lehrer oder die Patentante sein. Jemand, mit dem man seine Gefühle teilen kann. Ein Vorbild.

„Die Trennung der Eltern steht manchmal als Auslöser hinter einer ganzen Reihe von anderen Problemen“, sagt Kathrin Engelhardt. Die 45-jährige Lehrerin am Pestalozzi-Gymnasium macht gerade eine Zusatzqualifikation zur Beratungslehrerin: „Wir können den Schülern nicht selbst helfen, aber wir können ihnen aufzeigen, wer helfen kann.“ Wichtig ist, dass Eltern, die sich im Streit trennen, frühzeitig an die Kinder und an Hilfe für die Kinder denken. Nämlich dann, wenn sie eine Trennung nur in Erwägung ziehen. Den jungen Seelen bliebe dann Einiges erspart...