Rhade. . Julian Budde (17) ist seit Geburt querschnittgelähmt – und aktives Mitglied der Schützenkapelle Rhade. Am Sonntag, 30. Januar, tritt er mit dem Ensemble beim Neujahrskonzert auf.

Beim St. Martinszug im November hatte Julian Budde (17) seinen ersten „von A nach B-Auftritt” mit der Schützenkapelle Rhade. Vielleicht ist das glänzende Tenorhorn eine Spur zu wuchtig für den zierlichen jungen Mann. Aber das war nicht das Problem. „Ich brauchte einen Schieber”, lacht er. „Ich musste unterwegs ja beide Hände für das Instrument frei haben.“ Julian ist von Geburt an querschnittgelähmt, sitzt im Rollstuhl. Seit drei Jahren musiziert der Rolli-Fahrer allen Hindernissen zum Trotz in dem Ensemble. Die WAZ sprach vor dem Neujahrskonzert der Schützenkapelle (30. Januar) mit dem Musiker.

Wir können uns Duzen?

Klar.

Wenn ich eine doofe Frage stelle, musst Du’s sagen.

Kein Problem. Mich fragen viele Leute, vor allem kleine Kinder. Die verstehen nicht, warum jemand nicht laufen kann. Als ich selbst noch ein Kind war, war das für mich schwierig. Mittlerweile kann ich damit leben.

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Von DerWesten

Warum sitzt Du im Rollstuhl?

Ich bin mit offenem Rücken zur Welt gekommen, musste noch am Tag der Geburt operiert werden. Die Nerven in die Beine sind blockiert. Das zählt unter Querschnittlähmung. Bis zur Grundschulzeit haben mich meine Eltern im Buggy gefahren, dann habe ich meinen ersten Rollstuhl bekommen. Seit zehn Jahren hab’ ich auch meinen Speedy, ein Fahrrad-Vorsatz mit Handkurbel.

Das klingt nicht nach einem einfachen Leben . . .

So blöd sich das anhört: Es ging ohne Umgewöhnung. Ich kenn’s ja nicht anders. Aber im Alltag muss ich schon improvisieren und bin froh, dass es viele Hilfsmittel gibt. Neulich hab’ ich mich mit Freunden an einem Bahnhof getroffen. Mein erster Blick bei solchen Gelegenheiten ist immer: Wo ist ein Aufzug? Ich bin ja aus dem Tragealter ‘raus. Was mich in den Schneewochen aufgeregt hat, war der Schulweg zum Berufskolleg. Für die 200 Meter von der Bushaltestelle am Gemeindedreieck habe ich eine halbe Stunde gebraucht. Einmal bin ich im Schnee stecken geblieben und dann stand ich da. Eine Frau hat mir geholfen. Wie ich mit dem Rollstuhl eine Rolltreppe bewältige, habe ich in einem Kurs gelernt. Und die Treppe in den Rhader Jugendkeller – da treff’ ich mich freitags mit Freunden – schaffe ich mittlerweile auch allein.

Das macht man sich als Fußgänger nicht klar, dass die Welt nicht für Rolli-Fahrer gemacht ist. Es gibt ja den Spruch: Man ist nicht behindert, man wird behindert . . .

Ich sag immer: lieber behindert als bescheuert.

Belastet Deine Behinderung das Familienleben?

Ich verstehe die Frage nicht.

Na, Deine Eltern und Geschwister müssen doch sicher viel Rücksicht nehmen . . .

Ach so. Klar. Urlaub können wir nur behindertengerecht buchen. Sonst ist es für alle kein Urlaub mehr.

Mein jüngerer Bruder – er ist zwölf – hat schon einen ganz genauen Blick. Neulich hab’ ich beim Essen gesagt, dass ich noch mal ‘raus will. Als ich los wollte, stand der Rollstuhl schon vor der Tür. Er denkt toll mit.

Nur: Im Haus fahre ich nicht mit dem Rollstuhl, bei meiner Fahrweise wären die Möbel bald schrottreif. Aber unser Familienleben ist völlig normal. Alles, was nötig ist, sind Selbstverständlichkeiten.

Julian bei der Probenarbeit im Musikhaus am Dahlenkamp.
Julian bei der Probenarbeit im Musikhaus am Dahlenkamp. © WAZ FotoPool

Als Rolli-Fahrer unter, na ja, normalen Kindern aufzuwachsen, stelle ich mir schwierig vor.

In der Grundschule gab’s ein paar Situationen, in denen ich geärter wurde. Aber auf der Gesamtschule kam ich mit allen Schülern sehr gut aus. Ich brauche einfach viel Hilfe und es gibt unterschiedliche Formen von Hilfsbereitschaft. Oft kommt die ganz selbstverständlich. Bei unserer Firmfahrt mit 40 Jugendlichen hatten wir einen Abend im ersten Stock. Ich hab’ gesagt, so, jetzt gehen mal alle die Treppe runter und zwei helfen mir. Aber alle 40 wollten mir helfen. Hier in der Kapelle ist das auch so super. Ich bekomme jede denkbare Unterstützung.

Wie bist Du an die Musik gekommen?

Meine Mutter und Birgit Hinzmann, die Frau von unserem Vorsitzenden, haben mich gefragt, ob das nicht was für mich wäre. Das war vor drei Jahren. Angefangen habe ich mit dem Waldhorn. Da wurden Spieler gesucht. Aber ich habe da kaum einen Ton ‘rausbekommen. Mein Instrumentenlehrer hat dann gefragt, ob ich zum Tenorhorn wechseln möchte. Drei Tasten, die gleichen Töne – aber damit bin ich deutlich besser klar gekommen.

Was macht Dir Spaß an der Musik?

Das selber machen. Das ist faszinierend. Und die Musik in der Schützenkapelle schafft spannende Kontraste. Wir spielen auch moderne Sachen, Stücke, die man hört. Heel the World von Michael Jackson zum Beispiel. Da ist im Original doch kein Tenorhorn bei. Das mit der Kapelle zu spielen, ist einfach gut. Die Musik – mittwochs Orchesterprobe, freitags Unterricht, am Wochenende Auftritte – das ist für mich eine gute Freizeitaktivität zum Abschalten. Aber dafür ist ‘n Hobby ja auch da. Und meine Oma findet das schön, wenn ich was spiele. Tja, und dann spiele ich halt auch Weihnachtslieder.

Wie sieht Deine weitere Lebensplanung aus?

Im Moment mache ich am Berufskolleg mein Fachabi. Und danach möchte ich gern eine Ausbildung zum Automobilkaufmann machen. Da hab’ ich schon mein Praktikum gemacht. Das ist genau mein Ding. Ich hoffe, dass es klappt.