Haldern. .

Tod, Hass und Dunkelheit umgab die deutschen Soldaten am Heiligen Abend 1942 in Stalingrad. Zur Weihnachtsfeier hatten sie sich in einem notdürftig beheizten Bunker getroffen.

Militärpfarrer und -arzt Dr. Kurt Reuber machte sich Gedanken, wie er die Stimmung aufhellen könne. Er griff ins offene Feuer, holte einen verkohlten Holzscheit heraus und malte damit auf die Rückseite einer russischen Landkarte eine Madonna mit Kind. Minutenlang starrten die Soldaten ergriffen auf die Zeichnung, die später mit einem Feldpostbrief ihren Weg in die Heimat fand. Kurt Reuber überlebte die russische Gefangenschaft nicht, seine Zeichnung aber hängt heute zum Gedächtnis und zur Mahnung in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Dafür hatte sich im Jahr 1983 Bundespräsident Karl Carstens stark gemacht, nachdem immer mehr Menschen von der Stalingrad-Madonna erfahren hatten und somit ein gewisser öffentlicher Druck entstanden war.

Einsatzorte mussten
geheim bleiben

Diese Geschichte um die Madonna lässt auch heute noch Zuhörer ganz andächtig werden, hat Schwiening festgestellt. Der Bocholter hat diese Episode zum festen Be-standteil seines Vortrags über „Deutsche Feldpost 1939 bis 1945“ gemacht. Seit 20 Jahren schon sammelt der 61-Jährige Feldpost, wertet sie aus, hat inzwischen eine Ausstellung daraus konzipiert und sich ganz nebenbei zum Experten auf diesem Gebiet gemausert.

Das Interesse für die Beschäftigung mit der Feldpost erwuchs aus dem Briefmarkensammeln. Dabei hatte Schwiening damals den Fokus auf das Deutsche Reich 1872 bis 1942 gelegt. Als schwierig erwies sich für den Sammler, die Absendeorte der Feldpostbriefe aus dem Zweiten Weltkrieg zu ermitteln. „Um den Einsatzort der Soldaten ge-heim zu halten, hatte man jede Einheit mit einer Feldpostnummer ausgestattet“, erklärt Schwiening. Das weckte seinen Forscherdrang. Das Thema sprach ihn an, weil einige seiner Verwandten im Krieg gefallen oder schwer verwundet worden waren.

Seine Sammlung besteht derzeit aus rund 450 kommentierten Feldpostbelegen. Darüber hinaus hat der Bocholter 10 000 Briefe analysiert und archiviert, um sie für weitere Forschungszwecke oder Spezialsammlungen zur Verfügung zu stellen.

„Die Anzahl meiner Feldpostbelege stehen jedoch in einem verschwindenden Verhältnis zum gesamten Postaufkommen des Zweiten Weltkrieges“, so Schwiening. In der Zeit zwischen 1939 und 1945 wurden innerhalb des Gebietes vom Nordkap bis Afrika und von den Pyrenäen bis zum Kaukasus - oft unter schwierigsten Bedingungen - rund 40 Milliarden Feldpostsendungen befördert.

Eine Zensur der Briefe war kaum möglich, waren doch täglich 20 Millionen Schreiben unterwegs. Wurde aber auch nur die geringste Regimekritik bekannt, setzte die Kontrollmaschinerie der Gestapo ein. Natürlich wurden daneben auch Stichproben ge-macht. Sogar auf Geheimtinte, also nicht sichtbare Texte, wurde hin untersucht, wie Spuren auf den Briefen noch heute erkennen lassen.

Anhand der Sammlung von Helmut Schwiening lässt sich der Zweite Weltkrieg in all seinen Phasen nachvollziehen. Und auch die Schrecken des Krieges scheinen trotz vorsichtigen Formulierens durch. So gibt es den Brief eines dekorierten Soldaten, der - ungewöhnlich genug - noch im Januar 1945, Heimurlaub gewährt worden war. „Liebe Mutti“, beginnt der Brief, indem er seine Mutter be-schwört, nach einem Passbild von ihm zu suchen. Denn seinen Urlaub darf er nur antreten, wenn in seinem Soldbuch ein Passbild klebt. Das hat er aber verloren.

Eine weiterer Feldpostbrief erzählt das traurige Ende einer Partnerschaft. Auf Heimaturlaub hatte sich der Soldat verlobt, seine Zukünftige schickt ihm das inzwischen entwickelte Schwarzweiß- Foto des Fotografen samt Dankanzeige aus der Zeitung. Irgendwann erhält sie beides aus Russland zurück mit dem Hinweis „Empfänger gefallen für Großdeutschland“. Zynisch erscheint einem da der Aufdruck auf dem Briefumschlag: „Melde Dich für den freiwilligen Ehrendienst“.