Bergkamen/Borken. .

51 Tote forderte eine Explosion am 1. Juni 1988 um 12.30 Uhr im Rheinelektra-Braunkohlenbergwerk Stolzenbach bei Borken/Nordhessen. Sechs Kumpel überlebten in 100 Meter Tiefe.

Sie konnten sich vor der mit Kohlenmonoxid gesättigten Luft in einen Bereich retten, in dem sich noch genügend Sauerstoff zum Atmen befand. Die Behörden und das Bergbauunternehmen hatten schon längst alle Männer aufgegeben, die sich zum Zeitpunkt der Explosion unter Tage befanden. Vier Tage nach dem Unglück geschah dann das, was niemand noch zu hoffen gewagt hatte: Sechs Bergmänner wurden gerettet – von einem Trupp der Grubenwehr Haus Aden.

„Wir mussten die Toten bergen“

Die „Bombe“, wie sie zur Rettung der verschütteten Bergleute in Chile zum Einsatz kam, war der Kapsel, mit der die Grubenwehr 1988 in Borken in die Tiefe fuhr gar nicht so unähnlich, erinnert sich Manfred Wiedemann. Der Grubenwehr-Trupp, mit dem der jetzige stellvertretende Kamener Bürgermeister im Einsatz war, bekam allerdings nur wenig vom Glück der sechs Geretteten mit.

„Wir hatten die Aufgabe, unsere toten Kumpel zu bergen“, erzählt Wiedemann und erinnert sich noch daran, wie sein Team von Monopol mit dem Bus nach Borken fuhr. „Auf dem Weg wurden wir sogar noch von der Polizei angehalten, weil wir zu schnell gefahren waren“, erzählt der heute 61-Jährige.

Am Unglücksort angekommen, nahm Wiedemann nur am Rande den großen Presserummel war. Für ihn und seine Kumpel ging es gleich hinunter in den Schacht. „Das war schon eine Extremsituation für alle Grubenwehr-Mitglieder“, erzählt Wiedemann. „Man musste im Kopf einen Knopf ausschalten und gar nicht drüber nachdenken“, schildert er seinen Umgang mit dieser schweren Aufgabe.

Psychologische Betreuung gab es später keine. „Ich habe den Einsatz einigermaßen verkraftet“, meint Wiedemann heute. Auch deshalb, weil er mit seinen Grubenwehrleuten viel über den Vorfall gesprochen habe. „In den 80 Metern Tiefe habe ich nur an meine Aufgabe gedacht: alle toten Kumpel herauszuholen und keinen einzigen zurückzulassen.“

„Zuerst sah ich eine Lampe, dann zwei und drei und irgendwann waren es sechs. Es ist nicht zu fassen, was man in einer solchen Situation empfindet. Es war einfach unglaublich, so etwas Fantastisches habe ich noch nie erlebt!“ Dem 29-jährige Maschinensteiger Heinz-Günter Zschau, Führer des Grubenwehr-Trupps der Schachtanlage Haus Aden, fehlten - wieder zurück auf seiner Heimatschachtanlage in Oberaden - immer noch die richtigen Worte.

Das „Wunder von Stolzenbach“

Sein Trupp war nicht ganz sieben Stunden vorher am Samstag, 4. Juni, um 4.20 Uhr als erste 100 Meter unter Tage zu den sechs Überlebenden der Explosion im Braunkohlebergwerk im nordhessischen Stolzenbach bei Borken vorgedrungen. In Windeseile machte in den deutschen und internationalen Medien das Begriff „Wunder von Stolzenbach“ die Runde.

Doch die Haus Adener fühlten sich für den Erfolg ihres dramatischen Einsatzes nicht allein zuständig. Haus Adens Grubenwehrführer Arno Großmann: „Es war Zufall oder Glück, dass wir die ersten waren, die die Oberlebenden fanden — ihre Rettung ist aber das Werk aller in Stolzenbach eingesetzten Grubenwehr-Männer. Sie alle können stolz auf ihre Leistung sein.“ Rund 250 Grubenwehrleute aus dem Ruhrgebiet, auch von der Schachtanlage Monopol, waren in Stolzenbach im Einsatz gewesen.

Die „Haus Adener“ wurden im ZDF gelobt

Dennoch: Die Haus Adener wurden natürlich vor Ort in Borken, von ihrem Werkschef

Franz-Josef Lappe, von BAG-Vorstandssprecher Dr. Klaus
Schucht ist sogar in der ZDF-Denkmalschutz-Sendung am Samstagabend zu Recht mit Lob und Anerkennung überschüttet. Hannes Fehst, Wehrmann im ersten Rettungstrupp, wollte seine Freudentränen nicht unterdrücken: „Nach 23 Jahren In der Grubenwehr war das heute das Größte, das absolut Größte...“

Von den Strapazen der Nacht war den 15 Männern der Grubenwehr Haus Aden und ihrem stellvertretende Oberführer Willi Pudlik bei ihrer Rückkehr kaum etwas anzumerken. „Wir sind überglücklich“, war ihre erste Reaktion, als sie am 4. Juni 1988 kurz vor 11 Uhr auf der Schachtanlage aus ihrem Bus stiegen. „Nach 23 Grubenwehrjahren war das der beste Einsatz.“

Hannes Fehst gehörte zu den fünf Männern aus Oberaden, die mit Truppführer Heinz-Günther Zschau in rund 100 Meter Tiefe die Überlebenden der Katastrophe in dem Braunkohlen-Bergwerk Stolzenbach in einer Luftblase entdeckten und wieder ans Tageslicht brachten.

Erstes Lebenszeichen gegen 2 Uhr nachts

Das erste Lebenszeichen vernahm gegen 2 Uhr am Samstagmorgen eine Mannschaft, die rund drei Kilometer vom Schacht entfernt eine Bohrung niederbrachte. Da strömte ihr plötzlich nicht nur atembare Luft entgegen, sie hörte auch Klopfgeräusche über das Bohrgestänge. Der ungefähre Aufenthaltsort wurde dann mit einem Richtmikrofon festgestellt.

Die sechs Überlebenden in der Luftblase befanden sich im Außenbereich des so genannten Nordfelds rund 2200 Meter von der Bereitschaftsstelle. Die Bereitschaftsstelle ist unter Tage der Bereich, in dem die Rettungsmannschaften ohne Sauerstoffgeräte frei atmen können. Oberführer Willi Pudlik, der in der Nacht den Einsatz der drei Oberadener Trupps leitete, sprach am Samstag auf Haus Aden von einem großen Risiko. Denn bis zu den Überlebenden lag eine über zwei Kilometer lange Strecke gefüllt mit Kohlenmonoxid, Trümmern und Schlamm. Doch seine Leute seien bestens ausgebildet, meinte er, und deshalb sei er dieses Wagnis eingegangen.

Der Trupp Timpe blieb in der Bereitschaftsstelle, um im Notfall, falls den eigenen Leuten etwas passieren sollte, eingreifen zu können. Die Trupps „Zschau“ und „Krüger“ machten sich auf den beschwerlichen und gefährlichen Weg. Unterwegs blieb dann auch der Trupp von Marian Timpe zurück, damit der Zschau-Trupp sich allein schneller vorarbeiten konnte. Als Truppführer Hans-Günther Zschau und seine Leute weiter vordrangen, sahen sie an einer Eisentür den Schriftzug „Kommt her“ und Pfeile, die die Sechs auf ihrer Flucht vor dem tödlichen Gas zurückgelassen hatten.

Schriftzug
„Kommt her“

Unter ihnen habe sich ein Grubenwehrkamerad befunden, berichtete Zschau, der „seine Leute“ wieder in den Bereich mit atembarer Luft geführt hatte. Er sorgte auch dafür, dass sie sich ruhig verhielten sowie ihre Batterie- und Getränkevorräte vernünftig einteilten.Doch kurz vor der Rettung wäre es beinahe noch zur Katastrophe gekommen. Denn beim Anblick ihrer Retter gegen 4.20 Uhr war die Freude bei den Sechs so groß, dass die vorher geübte Disziplin vergessen war. Sie rannten auf die fünf Männer der Haus Adener Grubenwehr zu, die sich noch mitten in der mit Kohlenmonoxid belasteten Luft befanden.

Sie wären beinahe in ihren Tod gerannt

Sie wären in ihren eigenen Tod gerannt. Als die Haus Adener dies erkannten, liefen sie ihnen so schnell es ging entgegen. Fehst: „So schnell wie in diesem Augenblick bin ich noch nie gelaufen.“

Die fünf Grubenwehrmänner konnten die Überlebenden noch rechtzeitig aufhalten. Um 4.33 Uhr marschierten sie gemeinsam unter Atemschutz zur Bereitschaftsstelle und gegen 6 Uhr erblickte auch der letzte der Geretteten nach über 68 Stunden wieder das Tageslicht.

Nach der Bergung der sechs überlebenden Kumpel stieg bei Einsatzleitung, Grubenwehrmännern und vor allem unter den Angehörigen noch vermisster Bergleute die Hoffnung. Zusammen mit mehr ab 200 Medienvertretern aus dem In- und Ausland warteten Familienangehörige der Verschütteten vor den Bergwerk und dem nahe gelegenen Rettungsschacht auf weitere Nachrichten. Ohne Happy End. Zurück blieben trauernde und weinende Familien.