Bergkamen. .

„Wenn ich weiterrede, fange ich an zu weinen.“ Francesco Vaccaro, 48 Jahre und nach eigenen Angaben „waschechter Westfale“ (Geburtsort: Neapel) fühlte sich gestern „Scheiße“. Und nicht nur er: „Sehen Sie sich doch um. Hier lacht keiner“, sagte Vaccaro und zeigt in die Runde. Dort, auf dem Platz vor dem Lichthof des Bergwerks Ost, standen mehrere hundert Kumpel, die sich allesamt die letzte Betriebsversammlung im Inneren des Gebäudes „schenkten“.

Das Aus für Bergwerk Ost

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    Dort versicherte gerade RAG-Vorstandsvorsitzender Bernd Tönjes, dass es ihm noch nie so schwer gefallen sei, eine Rede im Bergwerk Ost zu halten. Kein Wunder. Denn seit gestern ist Schicht im Schacht. Unter Bergkamen wird keine Steinkohle mehr gefördert. Die einst 3000 Arbeitsplätze im Bergwerk gibt es nicht mehr; nur rund 1000 Menschen werden noch ein Jahr lang das Bergwerk „abwickeln“.

    Im Lichthof kamen die Offiziellen ausgiebig zu Wort. Und draußen, wo die Reden gut zu hören waren, winkten die Kumpel ab. „Bla bla. Und jetzt sagen sie gleich, wie total dankbar sie uns sind.“

    26 Azubis beenden Ausbildung


    Letzte Förderschicht und Betriebsversammlung im Bergwerk-Ost, Hamm. Auszubildende : Nurullah Caliskan, Patrick Kohlmann und Daniele Wortmann
    Letzte Förderschicht und Betriebsversammlung im Bergwerk-Ost, Hamm. Auszubildende : Nurullah Caliskan, Patrick Kohlmann und Daniele Wortmann © WR

    Davon haben Daniele Wortmann (21) und Patrick Kohler (19) gar nichts. Denn die beiden jungen Männer, die gerade zu Elektronikern ausgebildet werden, wissen nicht, wie es ab Februar weitergeht. Bis dahin haben sie und rund 26 weitere Lehrlinge „Bestandsschutz“, können ihre Ausbildung im Bergwerk Ost beendet.

    Der ein Jahr jüngere Jahrgang wird seine Ausbildung ein Jahr später auf Auguste Victoria in Marl beenden. Und danach? „Vielleicht bekommen wir ja einen Zeitvertrag“, hofft Patrick. Und Daniele erzählt, dass er am Mittwoch in Brüssel dabei gewesen sei, bei der Großdemonstration. „Wir wollen unsere Arbeitsplätze wenigstens bis 2018 behalten.“

    Das ist ein Zeitraum, über den Francesco Vaccaro nicht mehr nachdenkt. Bis zum Jahresende hilft der Hauer bei der Demontage der Anlagen im Bergwerk Ost. Dann ist für ihn nach 29einhalb Jahren Schluss. „Ich geh in die Anpassung.“ Heißt: Erst Kurzarbeit, dann Vorruhestand.

    „Ich habe noch 34 Monate“


    Letzte Förderschicht und Betriebsversammlung im Bergwerk-Ost, Hamm. Kumpel: Mustafa Yalcinkaya, Mehmed Topcu und Helmut Gottschalk
    Letzte Förderschicht und Betriebsversammlung im Bergwerk-Ost, Hamm. Kumpel: Mustafa Yalcinkaya, Mehmed Topcu und Helmut Gottschalk © WR

    „Ich gehe im Juli in Rente“, sagt Schlosser Mehmet Topcu (48). Wie viele seiner Kumpel in den 40-ern rechnet der mittlerweile in Monaten. „Ich habe noch 34 Monate“, erzählte Martin Rieder, der bis gestern für die Bewachung der Bandanlage zuständig war. Er wechselt im November nach Prosper Haniel, wird künftig jeden Tag eine Stunde nach Bottrop zur Schicht fahren. „Die Zeit ärgert mich nicht. Aber ich habe ausgerechnet, das werden etwa 220 Spritgeld im Monat werden, Dieses Geld wird mir fehlen“, sagt Rieder, der bisher aus Kamen 12 Minuten bis zur Arbeit brauchte.

    „Mir werden vor allem die Kollegen fehlen. Die sieht man doch nicht wieder“, bedauert Betriebsschlosser Helmut Gottschalk, der noch ein Jahr bei der Demontage im Bergwerk Ost helfen wird. „Dann schließe ich hier ab“, scherzt er. Und geht geht danach in die Anpassung. Nach 32 Jahren.

    Dennoch, zusammen mit seinem Revier, etwa 100 Leuten, will er sich am Samstag noch mal zusammensetzen und Abschied feiern.

    Mustafa Yalcinkaya (41) aus Bergkamen wird dann nicht dabei sein. Er will nicht feiern. „Ich sehe meine Kaue heute das letzte Mal“, sagt er und schluckt.. Ab morgen wird er in Marl duschen, auf Auguste Victoria. „Das ist noch weit weg. Erst einmal habe ich heute Herzklopfen.“