Duisburg.

Der Katastrophentunnel ist nun wieder frei für den Verkehr. Die Trauergaben für die Opfer der Loveparade sind nun in einem Glaskubus. Das Ende der Trauerzeit kam still und in Würde.

Die letzten Kerzen sind erloschen, die Blumen verwelkt, der Tunnel ist wieder grau. Eine Unterführung am Hauptbahnhof, die nie wieder eine normale Straße sein wird, obwohl seit Sonntag der Verkehr wieder darüber rollt. Keine Straßenreinigung, die Menschen selbst haben am Samstag die Zeichen der Erinnerung aufgehoben, um sie aufzuheben in einer Vitrine aus Glas. Sechs Wochen nach der Loveparade mit 21 Toten hat Duisburg der Trauer einen neuen Raum gegeben.

Blumen aus Plastik, Tierchen aus Stoff

Anfangs sind es nur die Helfer des Bürgerkreises Gedenken, die Einmalhandschuhe überziehen, die niederknien zwischen den leeren Lichtern und mit spitzen Fingern beginnen zu sammeln. Eine Trommel schlägt einen traurigen Rhythmus, zu dem immer mehr in den Tunnel strömen, Hunderte sind es wohl, die zusammentragen, was sie vielleicht selbst hier niederlegten am Ort der Katastrophe: Blumen aus Plastik, Tierchen aus Stoff, Laternen, eine rote Krepprose, Engel aus Gips und Gold. Viel Liebe sammeln sie in weißen offenen Kisten, Herzen aus Plüsch, aus Stein, auf Papier, das Wort für „Liebe“ in chinesischen Schriftzeichen. Sie falten die Schleifen der Kränze und glätten das Papier der Abschiedsbriefe. Es ist ein Akt voller Würde.

Ein Schild, schon bereitgestellt zum Transport in den gläsernen Kubus, der alles aufnehmen soll, schieben schmutzige Hände zurück. „In tiefster Trauer entschuldigen sich Duisburger Bürger für das Versagen der Gehirne der Entscheidungsträger.“ Es ist viel größer als die Bronzetafel, unter dem es nun lehnt: Die Stadt hat sie im Morgengrauen aufgehängt, „Duisburg gedenkt der Opfer der Loveparade“. Derselbe Spruch hängt auch im Kubus. „Die Bürger“, sagt jemand, „sind die Einzigen, die in dieser Stadt mit Anstand trauern.“

Hin und wieder erheben sich Stimmen über das Gemurmel, man hört die Namen „Schaller“ und „Sauerland“, aber die hier heute gedenken, „wollen die Schuldfrage nicht stellen“, sagt Hermann Kewitz vom Bürgerkreis. Es sind auch Vertreter der Stadt gekommen, ein wenig hilflos stehen sie dabei, einer mit feuchten Augen, aber dann packen sie mit an. Fast hat man den Eindruck: Sie sind froh, irgendetwas tun zu können. Frauen knoten die Transparente vom Absperrgitter – sie geben den Blick frei auf die Rampe, die vor sechs Wochen auf das Partygelände führen sollte, aber zur tödlichen Falle wurde.

Davor halten sich Familien an den Händen und können den Blick nicht wenden, sie tragen Schwarz oder T-Shirts mit dem Porträt eines Opfers, viele brechen in Tränen aus. Es sind also auch Angehörige gekommen, die nun mit zitternden Fingern letzte Gaben in die Körbe legen: eine bunte Friedens-Fahne für das Mädchen aus Italien, ein rosa Kuscheltier, ein frisches Hemd mit dem Logo der Loveparade, einen spanischen Wimpel. Weinend kleben zwei Frauen das Bild eines jungen Niederländers in eine Fotogalerie auf Karton, lächelnd unter Tränen zeigt eine Frau einem der vielen Seelsorger das fröhliche Foto eines jungen Mädchens, bevor sie den Rahmen vorsichtig zu den anderen legt.

Ein besonderer Platz im Kubus

Eltern haben die Todesanzeige ihrer Tochter vergrößert, sie haben neue Bilder gebracht, Erinnerungsstücke, jetzt bitten sie um einen besonderen Platz im Kubus. Dessen künstlerisches Konzept war die Unordnung, aber jetzt stellen die Helfer Bilder vorn an die Glaswand, setzen die Stofftiere in die Mitte, versuchen, die Figuren aufrecht zu stellen. Doch es kommen zu viele Körbe aus dem Tunnel, um nach System zu sortieren, irgendwann kippen sie sie nur noch aus, kistenweise Kerzen in eine Ecke, und draußen sehen die Angehörigen zu, suchen ihre Gaben hinter spiegelndem Glas.

Es ist ein weiter Weg, den sie gehen mussten von der Rampe bis zum Tunnelausgang, wo die Vitrine steht, ein langer, schweigender Trauermarsch. Zurück bleiben welke Blumensträuße, die schon lange alle Farbe verloren haben, ausgebrannte Teelichte, die Scherben einer Vase, ein in zwei Teile gebrochenes Herz aus Styropor. Und die Kreide-Inschriften an den Betonwänden. Zuletzt haben sie die leeren Grablichter mit Handkarren zum Kubus gerollt, aber nun muss der Rest doch entsorgt werden; es sind ja tausende.

Plötzlich entladen sich die Emotionen

Ein Pärchen sitzt schweigend auf der Bordsteinkante und beobachtet die letzten Arbeiten, bei anderen entladen sich plötzlich die Emotionen: Mit der Kraft unbändiger Wut packen sie die Plastikkörbe, entleeren sie in Mülltonnen, sie schlagen mit ihren zornigen Schritten eine Schneise in die trauernde Menge – weg mit den Kerzen, die sie doch eigentlich nicht wegwerfen wollen! Niemand greift ein. Es muss auch für diese Gefühle Raum geben.