Duisburg. .

Augenzeugen der Massenpanik während der Loveparade in Duisburg berichten von dramatischen Szenen. „Ich hatte schon mit dem Leben abgeschlossen“, berichtet ein 17-Jähriger, nachdem neben ihm ein Mädchen gestorben ist.

Dustin aus Erkrath und Thomas aus Köln, beide 17 Jahre alt, kamen getrennt zur Loveparade nach Duisburg. „Wir kennen uns nur, weil wir übereinanderlagen“, sagt Thomas, nachdem die Massenpanik vorbei war.

Dramatische Szenen um Unglücksort. Foto: Stephan Eickershoff/WAZFotoPool
Dramatische Szenen um Unglücksort. Foto: Stephan Eickershoff/WAZFotoPool © WAZ FotoPool

Als das Gelände auf dem alten Güterbahnhof wegen Überfüllung gesperrt werden sollte, wollten auch die beiden Teenager noch schnell über den rund 100 Meter langen und 16 Meter breiten Unterführungstunnel auf das Gelände, wo die Techno-Trucks begannen, im großen Kreis zu fahren.

Dustin berichtet: „Alle wollten noch auf das Gelände. Damit es schneller geht, sind einige auf die Treppe ausgewichen.“ Die führt von der Unterführung direkt zum Güterbahnhof. Doch das mit der Abkürzung habe nicht so richtig funktioniert.

„Von hinten drückten immer mehr nach“, sagt Dustin. Es habe 40 Minuten nur Panik gegeben. Erst dann habe eine Rettungsgasse gebildet werden können. Doch für viele kam die Hilfe zu spät.

„Neben mir ist ein Mädchen gestorben“, sagt Dustin, der noch immer schockiert wirkt. Es sei einfach erdrückt worden. Ein weiteres Mädchen habe neben ihm gelegen. Es sei schon blau angelaufen gewesen. Mit Mund-zu-Mund-Beatmung habe er sie wiederbeleben können.

Stapel von Menschenkörpern

Dabei konnte sich Dustin selbst so gut wie nicht bewegen: „Auf mir lagen noch zwei Menschen.“ Teilweise seien fünf bis sechs Personen übereinandergeschoben worden. Schließlich hätten ihn Rettungssanitäter herausgezogen. Es sei so eng gewesen, dass seine Schuhe zwischen den Menschen steckenblieben. „Ich hatte schon mit dem Leben abgeschlossen“, sagt der 17-Jährige. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch Luft bekomme.“

Thomas meint, Security und Polizei seien mit der Situation überfordert gewesen. „Es ist nicht das richtige Gelände, es ist einfach zu eng.“ Vom Hauptbahnhof hatten die mehr als eine Million Menschen mehrere hundert Meter zum stillgelegten Güterbahnhof zurückzulegen.

„So stelle ich mir Krieg vor“

Der Tunnel zum Loveparade-Gelände, wo sich das Unglück ereignete, hat nach Angaben eines weiteren Augenzeugen wie eine „Falle“ gewirkt. „Überall lagen Menschen auf dem Boden herum. So stelle ich mir Krieg vor“, sagt einer dem Nachrichtensender n-tv. „Zu wenig Platz für zu viele Leute“, ist von einem anderen jungen Mann über die Loveparade 2010 in Duisburg zu hören, zu der nach ersten Schätzungen rund 1,4 Million Menschen kamen.

Stimmen der User von DerWesten:

DerWesten-User Klaus50 berichtet: Ich war mit meiner Tochter und deren Freundin im Tunnel. Der Zugang zum Festgelände war abgesperrt, aber es wurden weiterhin Leute in den Tunnel gelassen.

Unverschämt findet der Nutzer, „das Gerede des Sicherheitsdezernenten Duisburgs, Wolfgang Rabe, der da sagt, die Leute waren ja so unverschämt und haben die Absperrungen über wunden - die waren auf der Flucht. Ich habe da Absperrungen gesehen, die völlig von der Masse zerfetzt waren - so stark war die Wellenbewegung in der Menschenmasse“.

Ein anderer Nutzer berichtet: „Der Raum am Veranstaltungsgelände wurde durch die ganzen Absperrungen noch zusätzlich verknappt, Frust und Agression brach aus. Die Polizei und Ordner waren eher auf Gängelung und Einkesselung aus und verschärften die Lage. Warum hat der Veranstalter bzw. die Verantwortlichen dieses Gelände ausgewählt? Meiner erster Eindruck war: hunderte Fressbuden und Bierstände - hier soll der Umsatz auf dem Gelände bleiben und durch die Konzessionen abgeschöpft werden!“

„Wissling“ berichtet: „Was mich stört ist, dass es eine breiten EIngang am Kreisverkehr Mercatorstraße gab. Der war aber wohl reserviert für die VIPS. Man hätte den Eingang besser als Ausgang nehmen sollen. Viele Loveparade-Fans haben bereits vor der Veranstaltung auf den Engpass Tunnel hingewiesen. Wieso hat man überhaupt erst einenen Eingang zwei Kilometer weit weg vom Hauptbahnhof geschaffen?“

OS: „Mit drei Unrichtigkeiten muss man mal aufräumen:

1.) Das Veranstaltunggelände war nie überfüllt. Sehr eng wurde es eigentlich nur vor den Bühnenbereichen. An den Zugängen zu den Bühnenbereichen herrschte ein großes Gedrängel. Das war mir zu viel, aber passiert ist dort nichts. Als ich um 17 Uhr das Gelände verließ, war fernab der Bühnenbereiche noch viel Freiraum. Beispielsweise im Nordosten der Fläche standen auf 100 Metern vielleicht 100 Leute.

2.) Die Million Besucher mussten NICHT alle durch den einen Tunnel. Es gab auch nicht nur einen Eingang. Es gab zwei Wege und zwei Eingänge. Ein Weg führte von der Westseite des Hauptbahnhofs durch die Innenstadt. Hierlang wurden alle geführt, die mit Zügen aus Städten südlich Duisburgs eintrafen. Alles, was aus dem Ruhrpott ankam, nahm den Ostausgang und wurde durch Wohngebiete und u.a. diesen Tunnel geführt.

3.) Der Fehler war, dass der Zu- und Abstrom durch diesen einen Tunnel geführt wurde. Um 17 Uhr wollten noch Hunderttausende zur Abschlussveranstaltung. Es wollten aber auch wie ich Hunderttausende einfach nur nach Hause. Durch den relativ breiten Tunnel hätte nur der Zustrom geleitet werden dürfen, sonst wäre es dort nicht zu einem Stau gekommen.

Auf dem Gelände oder am HBF ist nichts passiert.

Aber diesen einen Fehler der Veranstalter kann man nicht wiedergutmachen.“

„Ernie“: „Techno und leere Güterbahnhofshallen. Das hatte etwas. Das Gelände selbst war auch zu keiner Zeit überfüllt. Jetzt wird natürlich das Märchen erzählt, schon vor dem Event sei der Hauptbahnhof erfüllt gewesen. Es war nicht voller als in Berlin oder Dortmund. Das Gelände selbst war ebenfalls nicht voll. Da hätte man nochmal Hundertausende bequem reinstellen können. Doch wurden aus Sicherheitsgründen die Zugänge gesperrt. An diesem Tunnel haben einfach die Bullen versagt! Sie hätten verhindern müssen, dass von der LP abströmende Besucher auf die zuströmenden Besucher trafen. Man hätte den Tunnel für die Leute, die die LP verlassen haben, dicht machen müssen. Der Tunnel hätte eine Einbahnstraße sein müssen. So kam es zum Stau im Tunnel.“

„Marco“: „Meiner Meinung nach nahm das Unglück seinen Lauf, als in den Tunnel auf einmal einfach alle reingelassen wurden. Wir kamen also in diesen Trichter an. Für ungefähr zehn Minuten war es noch ruhig. Dann fingen die ersten Menschen an, die Treppe und den Mast zu erklimmen. Manche flogen die Treppe wieder runter. Andere prügelten sich aus Angst. Menschen wurden wie Wackelpudding hin und her geworfen und fielen zu Boden.

Nie in meinem leben hatte ich solche Angst bis auf einmal eine lücke dort entstand wo wir hineinkamen. Ich riss mich mit aller Kraft aus der Menge bis wir wieder wieder Platz und Luft hatten. Wir versuchten alle hinzuströmenden Menschen zu warnen aber niemand hörte. Es sollte eine Sammelklage gegen die Stadt eingereicht werden und alle Verantwortlichen müssten eigentlich einmal in solch einen Pulk gesteckt werden, damit sie auch einmal solch eine Angst um ihr Leben haben.

Der Kampf ums Überleben bricht alle Grenzen meine lieben Theoretiker .“

„Duisburger“: „Gut gelaunt stiegen wir aus der U-Bahn. Mittags, Das Wetter war perfekt. Kein Regen, nicht zu heiß. Überall Menschen in Feier-Laune. Raus aus der U-Bahn, auf Richtung Güterbahnhof. Das erste mal gewundert. Keine Musik. Nirgendwo. Einige Polizisten, unglaublich viele Menschen. Aber keine Musik. Keine Vorboten der Love-Parade. Seltsam.

Egal, weiter.

Aha, die Düsseldorfer Straße lang, dann auf die Karl-Lehr. Stirnrunzeln. Ich kenne die Straße. Aber der Zugang zum Güterbahnhof liegt, versteckt zwischen zwei Tunneln und ist wirklich eng. Wieso nicht über die A59? Die ist eh gesperrt. Normalerweise würde ich jetzt denken „sie wissen schon was sie tun“, aber - ich bin Duisburger und mir wird etwas mulmig. Am Wochenende zuvor, auf der A40 ging nix mehr. Still-Leben halt. Aber es ist nichts passiert. Glück gehabt.

Irgendwann stehe ich auf der Düsseldorfer Straße vor einer Absperrung. Überall pinkeln Leute in Vorgärten. Die Sache mit dem Glas-Verbot scheint auch nicht wirklich angekommen zu sein. Überall gibts Bier. Musik? Fehlanzeige.

Absperrungen sind nicht unser Ding, ein kleiner Umweg über Hochfeld und die erste Hürde ist genommen.

Die nächst Absperrung. Das gleiche Bild. Immer noch keine Musik gehört. Einige Leute sind nicht mehr gut gelaunt. Kein Wunder. Aber immerhin, keine Ausschreitungen oder so. Zwei Besucher, angereist aus den Niederlanden, fragen „wo gibt es denn hier etwas Musik?“. Gute Frage.

Nach Stunden des Wartens und Herumirrens wird die Absperrung geöffnet. Merkwürdig. Polizisten, mit denen wir sprechen, sagen Dinge wie „es tut mir leid für die Leute“, „geht lieber nicht da rein“ oder „heute passiert hier noch was“.

Ein paar Menschen, die sich nun auf den Weg machen sind die, die später sterben werden.

Vor der Absperrung waren die Besucher zwar enttäuscht und ratlos, es gab aber keine Panik oder großartige Auseinandersetzungen. Die Leute konnten an dem Punkt in drei Richtungen ausweichen, so dass kein tötliches Gedränge entstand.

Obwohl die Einsatzleitung weiß, dass der Platz auf dem alten Güterbahnhof bereits überfüllt ist, wird diese Sicherheitsbarriere dennoch geöffnet und später nicht wieder geschlossen. Zu keinem Zeitpunkt wird über die Lage am Veranstaltungsort informiert. Folglich strömen immer mehr Menschen Richtung Tunnel.

Nun stehen also aberwitzige Menschenmassen vor geschlossenen Toren, der Weg zurück ist nicht mehr möglich, niemand hat eine Chance hier heraus zu kommen. Als einzelne Zäune überwinden und besagte Treppe erklimmen, ist die Panik bereits ausgebrochen. Die hinunter fallenden Menschen tragen sicherlich nicht zur Besserung der Lage bei. Vor dieser Treppe steht kein Polizist, keine Security, niemand.

Es grenzt an ein Wunder, dass nicht noch mehr Menschen sterben, und es scheint, als reagiere die Menge, entgegen der öffentlichen Darstellung, eher sehr besonnen. Dafür sprechen auch die Berichte der Augenzeugen. Es wird versucht erste Hilfe zu leisten, zu Boden gefallene Menschen werden wieder nach oben gezogen. Nicht etwa von Einsatzkräften, sondern von denen, die selbst um ihr Leben fürchten müssen.

Eine fürchterliche Katastrophe mit Ansage. Bewusste Täuschung, unglaubliche Planungsfehler und offensichtliche Mängel in der Einsatzleitung. Die Polizistinnen und Polizisten vor Ort haben keinen Hehl aus ihrer Einschätzung der Lage gemacht.

Die Zahlen, die im Vorfeld kursierten, waren, meiner Meinung nach, schöngerechnet. Man wollte die Veranstaltung unbedingt durchführen. Ein Gelände, geeignet für 500.000 Menschen. Dazu die Zahlen aus den Letzten Jahren. Deutlich über 1 Mio Menschen, in Essen und in Dortmund. Und die Behauptung, die Menschen würden kommen und gehen, so dass nie mehr als einige Hunderttausende gleichzeitig auf dem Platz wären, ist vollkommen aus der Luft gegriffen. Ein solches Verhalten war weder in Dortmund noch in Essen zu beobachten. Zumal in Duisburg die Musik wirklich nur auf dem Gelände gespielt hat. Zu allem Überfluss hätte der winzige, kombinierte Ein- und Ausgangsbereich diesem Kommen und Gehen erst recht nicht standhalten können.

In den Wartezonen war genau gar nichts. keine Videoleinwand, keine Beschallung, keine Information. Nur Bier.

Ein Skandal ist die Reaktion der Stadt-Oberen. Während der einberufene Krisenstab nach eigenen Aussagen noch nicht über ausreichende Informationen zur Ursache des Unglücks verfügte, hatte der Oberbürgermeister bereits eine Antwort. Die Menschen sind selbst Schuld. Die Planungen waren fehlerfrei.

Ich werde versuchen dazu beizutragen, die Duisburger Politik dafür zur Verantwortung zu ziehen und ich hoffe, dass die, die dieses Fiasko miterleben mussten, ebenso handeln. Die nächste Veranstaltung kommt bestimmt und wirklich niemand, der die Love-Parade 2010 geplant hat, sollte daran beteiligt sein.

Wir sind immer noch fassungslos, traurig, bestürzt und wütend. Wir haben Glück gehabt. Kurz bevor in den Tunnel nichts mher ging, haben wir noch die Chance gehabt, den Rückweg anzutreten.

Mein Beileid gilt den Menschen, die ihre Leute verloren haben. Es gibt keine passenden Worte für so etwas. Viele, viele Menschen, die dort waren, tragen ein Stück Trauer und Wut mit sich.“

K. aus Herne

„Ich war ein der Besucher der Loveparade in Duisburg, ich war einer der Personen im Tunnel, ich wollte das Gelände durch den Tunnel verlassen und habe diesen nur fünf Minuten vor der Massenpanik geschafft.

Wir waren bereits sehr früh auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs angekommen, nach einigen Stunden wollten wir uns Geld aus dem Hotelzimmer holen und uns frisch machen. Da wir an der Bühne an der Nordseite standen hatten wir erst die Notausgänge für „normale“ Ausgänge gehalten, dort wurden wir von „Sicherheitspersonal“ der Loveparade an den Ausgang verwiesen, auf Anfrage wo denn ein weiterer sei wurde unsere Frage mit dem Satz „Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich komme nicht von hier“ beantwortet.

Nur durch einen Hinweis eines anderen Besuchers suchten wir – und mit uns viele andere Gäste - den Eingang, der offensichtlich gegen jede Logik ebenfalls als Ausgang dienen sollte, auf und trafen um ca 16:40 eine Polizeisperre im Tunnel an, diese sollte keine weitere Besucher auf das Gelände lassen, verhinderte aber auch uns Heimgängern das Gelände zu verlassen.

Mehrmals sprach ich die Polizisten am Zugang zum Gelände auf die verfahrene Situation an und auch darauf, dass die nördlichen Notausgänge geschlossen sein, wir gerne vom Gelände möchten aber keine Möglichkeit besteht. Von diesen wurde immer wieder nur auf den Veranstalter verwiesen oder unwirsch jeglicher Kontaktversuch abgeschmettert.

Als dann plötzlich die Polizei die Sperre aufhob konnten wir den Tunnel nicht mehr zum verlassen nutzen, denn immer mehr Personen strömten in den Eingangsbereich. In nur wenigen Minuten war der Bereich hoffnungslos überlaufen, wir konnten nicht mehr vor oder zurück. Viele versuchten über die Treppen zu fliehen, kletterten auf den Container der Polizei und die Polizei schrie uns nur an.

Meine Begleitung hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits verlohren, denn ich konnte kaum noch selbst bestimmen in welche Richtung es mit mir gehen sollte. Ich hatte das Glück dann an der Wand entlang durch den Tunnel zum westlichen Ausgang zu kommen, meine Begleitung hatte es dafür zum östlichen Ausgang verschlagen.

Im Hintergrund waren dann auch schon die Hilferufe zu hören, ich konnte sehen wie ohnmächtige Frauen die Treppen hochgetragen und hilflose Menschen auf den Container gezogen wurden. Hier wurde jede Chance genutzt der erdrückenden Masse an Menschen zu entkommen, ein Versuch leicht und schnell auf das Gelände zu kommen war das sicher nicht. Die Menschen flohen, nicht mehr und nicht weniger!

Ich habe meine Begleitung erst zwei Stunden später am Hotel wieder angetroffen, über das Handy war wegen des überlasteten Handynetzes kein Kontakt möglich. Es war eine Zeit voller Angst und Ungewissheit!

Heute, einen Tag später, habe ich nur noch Wut im Bauch.

Wut, weil die Polizei am Aufgang zum alten Güterbahnhof nicht bzw. falsch reagierte, Hinweise zur Massenpanik bereits erkennbar waren und niemand angemessen reagierte, weil das „Securitypersonal“ sich nicht auskannte, wir eingezäunt wie Tiere auf ein Gelände gesperrt wurden, das Gelände nie voll war und es einzig der Zugang ein Flaschenhals darstellte, die Notausgänge erst viel zu spät geöffnet wurden und nach dem Unglück wir Gäste nie richtig informiert wurden!

Ich wollte einen besonderen Tag in Duisburg verbringen, jetzt muss ich das Erlebte verarbeiten...“