Düsseldorf. .

Die Polizei erhebt schwere Vorwürfe gegen den Loveparade-Veranstalter Lopavent. Ein Vertreter schilderte den Ablauf der Tragödie mit 21 Toten aus Sicht der Polizei. Demnach habe Lopavent das Sicherheitskonzept nicht eingehalten.

Der Innenminister des Landes NRW, Ralf Jäger, und der Polizei-Inspekteur NRW, Dieter Wehe, haben auf einer Pressekonferenz schwere Vorwürfe gegen den Loveparade-Veranstalter erhoben: Lopavent habe die Vorgaben des selbst erstellten Sicherheitskonzeptes nicht eingehalten. „Die Verantwortung für die Sicherheit der Teilnehmer auf dem Gelände hat ausschließlich der Veranstalter", so Jäger. Die Polizei sei lediglich für die sichere Begleitung der Besucher zum Veranstaltungsgelände zuständig gewesen. Deshalb habe der eigentliche Zuständigkeitsbereich der Beamten an den Eingangsschleusen außerhalb der Tunnel geendet.

„Die Polizei ist dann im Laufe der Veranstaltung um Hilfe gerufen worden, weil das Geschehen außer Kontrolle geraten sei“, erklärt Jäger. An wichtigen Eck-Punkten des Geländes seien zu wenig Ordner vorhanden gewesen bzw. die Ordner hätten ihre Aufgaben nicht erfüllt. Unerträglich sei die Tatsache, „dass Verantwortung von Seiten des Veranstalters der Love-Parade und der Stadt als Genehmigungsbehörde abgeschoben wird und zwar bevor alle Fakten bekannt sind“, sagte der SPD-Politiker.

Das erste große Problem habe sich durch die verspätete Eröffnung des Geländes ergeben. Statt um 11 Uhr bzw. bei großem Andrang um 10 Uhr sei der Zugang zum Gelände erst ab 12:04 Uhr möglich gewesen, erklärt Wehe. Dadurch habe sich der erste große Rückstau ergeben - eine Angabe, die sich mit den Schilderungen von DJ Eric Smax deckt, der auf dem Ultraschall-Float Musik gemacht hatte. „Als einige Frauen unseren Wagen erreichten, erzählten sie, das sie schon beim Einlass in großes Gedränge gerieten und tierisch Angst hatten“, so Smax im DerWesten-Gespräch.

Sicherheitsbedenken der Polizei

Schon zu diesem Zeitpunkt deuteten sich weitere Gefahrstellen an. Im Vorfeld sei festgelegt worden, dass durch die zwei Bereiche mit Eingangsschleusen maximal 60 000 Menschen pro Stunde gebracht werden sollen. Doch schon zu Beginn seien acht Eingangsschleusen nicht mit Ordnern besetzt gewesen - dabei habe der Veranstalter im Vorfeld laut Sicherungskonzept 1000 Ordner angekündigt. Wegen des Tunnels hatte die Polizei bereits im Vorfeld Sicherheitsbedenken geäußert, so Wehe: „Die Stadt als Genehmigungsbehörde und der Veranstalter haben zugesagt, Veränderungen vorzunehmen“. Die endgültige Genehmigung sei der Polizei erst am Samstagmorgen auf Nachfrage ausgehändigt worden.

Dass der Tunnel ein ganz wichtiges Nadelöhr sein würde, scheint auch den Veranstaltern schon im Vorfeld klargewesen zu sein. Ein Lopavent-Mitarbeiter erzählte bei einer Begehung des Geländes, dass der Tunnel der allerwichtigste Teil sei und in keinster Weise blockieren dürfe. Und falls auf das Gelände mehr als 250.000 Menschen strömen, würde die erste Barriere fallen - wahrscheinlich Richtung Bahnhof - erzählte ein Security-Mitarbeiter einigen Leuten vor der Veranstaltung.

Rückstau an der Float-Strecke

Laut Polizei habe sich auch der Fahrtweg der Floats als problematisch herausgestellt. „An der Float-Strecke hat es im oberen Bereich der Rampe einen Rückstau durch Zuschauer gegeben, obwohl auf dem Gelände noch ausreichend freie Flächen vorhanden waren“, so Wehe, der noch einmal betonte, dass die Polizei im Vorfeld auf die Probleme am Rampenkopf hingewiesen habe. Die Veranstalter hätten erwidert, dass die Besucher von den kreisenden Floats auf das Gelände mitgezogen würden. Security-Leute, die für die Weiterführung der Menschen auf die freien Flächen zuständig waren, hätten diese Aufgabe nicht erfüllt, sagte der Polizei-Inspekteur.

Um 15.30 Uhr habe dann der Veranstalter die Polizei, die vier Hundertschaften auf dem Güterbahnhofgelände stationiert hatte, um Hilfe gebeten. Auf halber Höhe der Rampe sollte eine Ordnerkette mit Hilfe der Polizei eingerichtet werden. „Dazu gab es eine klare Absprache mit dem Veranstalter - zur gleichen Zeit gegen 15:46 Uhr sollten die Eingangsschleusen geschlossen werden“, so Wehe. Doch der Veranstalter habe das Konzept nicht umgesetzt, so dass weiter Besucher durch den Tunnel in Richtung Rampe geströmt sind.

Zu wenig Ordner

Um 15.45 plant die Polizei zudem zur Entlastung des Tunnelbereichs die zweite Zugangsrampe zu öffnen. Allerdings sei zu dem Zeitpunkt nicht ganz klar gewesen, ob die vom Veranstalter für den Bereich zugesagten 150 Ordner tatsächlich an Ort und Stelle sind. Sicher war nur, dass die anwesenden Ordner nicht ausreichen würden.

Der Duisburger Ultraschall-Float hat derweil nach einem Hinweis der Security in mehreren Durchsagen die Raver auf der Rampe dazu aufgefordert, weiter zur Abschlusskundgebung zu gehen, um Platz für die nachrückenden Besucher-Ströme zu machen.

Um 16.31 Uhr wurde im Bereich der Düsseldorfer Straße offenbar ein Gitter geöffnet, damit ein Rettungswagen durchfahren konnte, erzählt Wehe. Um 16.36 Uhr wurde dort ein weiteres Zaunelement durch Ordner für einige Minuten entfernt, so dass sich der Zulauf noch einmal massiv erhöht hätte. Polizeibeamte bilden Ketten an Tunnel und Rampe, um den Zulauf der Besucher zu regulieren. Wegen des hohen Drucks müssen diese Ketten jedoch wieder aufgegeben werden. „Die Polizei hat im Anschluss alles dafür getan, um die Lage zu stabilisieren“, versichert der Polizist.

Zäune als Stolperfallen

Gegen 17:02 Uhr seien dann der Polizei die ersten Opfer auf der Rampe gemeldet worden. Umgerissene Zäune hätten sich zu Stolperfallen entwickelt. Durch den erhöhten Druck in der Menge habe es dann Todesopfer gegeben, die alle erstickt seien, so der Polizei-Inspekteur. „Es hat besondere Massierungen in den Bereichen gegeben, in denen Menschen einen Ausweg sahen“ - etwa der Container, von dem man nach oben klettern konnte. Dazu kämen der Bereich der Masten und die Treppe. „Diese war durch einen Zaun abgesperrt. Die, die darüber klettern konnten, haben das Victory-Zeichen gemacht. Das kann man jetzt interpretieren. Ich möchte das so stehen lassen“, sagte Wehe.

Ralf Jäger betonte auf Grundlage des Berichtes der Polizei aus Duisburg: „Als das Ordnersystem des Veranstalters zusammenbrach, hat die Polizei alles in ihrer Macht stehende getan.“ Auf die Frage von Journalisten, ob die Stadt Duisburg Schuld an der Tragödie sei, wich Jäger aus: „Was die Stadt Duisburg macht, was der Oberbürgermeister macht, das will ich nicht bewerten. Wenn sie mich fragen, was Hauptursache dieser Tragödie ist, dann kann ich dazu nichts sagen.“

Loveparade-Organisator bereitet Hilfsfonds für Loveparade-Opfer vor

Angesichts der gegen ihn als Veranstalter der Techno-Party erhobenen massiven Vorwürfe hat Loveparade-Organisator Rainer Schaller zugesichert, die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen zu unterstützen. „Wir haben der Staatsanwaltschaft nicht nur unsere Server, sondern auch das vollständige Videomaterial unserer sechs Kameras im Tunnel- und im Eingangsbereich übergeben“, teilte Schaller am Mittwoch mit. Er hoffe, dass diese Bilder mit zur Aufklärung beitragen, wie es zu der Tragödie mit 21 Toten habe kommen können.

Schaller sagte, die von Jäger vorgetragenen vorläufigen Ermittlungsergebnisse zu den Abläufen der Ereignisse „werfen viele Fragen auf, die wir nicht kurzfristig mit Medienstatements beantworten wollen“. Von Veranstalterseite werde alles getan, um die Verantwortung zu klären, wie es zu der Tragödie kommen konnte.
Schaller kündigte an, derzeit mit sozialen Einrichtungen einen Hilfsfonds für Angehörige zu organisieren, um sie von den dringendsten finanziellen Folgen zu entlasten. „Wir wissen, dass wir damit ihr Leid nicht lindern können“, fügte Schaller hinzu. (mit ddp)

- Die Pressekonferenz im Live-Ticker zum Nachlesen

-Zum Spezial

- Zum dramatischen Geschehen bei der Loveparade gibt es auch ein Video aus dem „Kultruhr“-Projekt der Journalisten-Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Darauf ist u.a. zu sehen, wie die Polizei Besucher vor dem Gang in den Tunnel versucht aufzuhalten.