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Sie waren eingequetscht, hatten Atemnot, sahen Tote, gerieten in Panik. Die Menschen, die die Tragödie im Tunnel zur Loveparade erlebten, stehen unter Schock. Seelsorger helfen ihnen jetzt. Doch auch die Familien sind gefragt.

Sie waren eingequetscht zwischen anderen Menschen, wurden an die Wand gedrängt oder standen selbst auf anderen Körpern – was in dem Zugangstunnel zur Loveparade passierte, war grausam und sitzt bei den Betroffenen tief. Hunderte Menschen, die ausgelassen feiern wollten, gerieten am Samstag in die Massenpanik. Sie wurden verletzt, sind schockiert. Doch an wen können sie sich jetzt wenden, wer hilft?

„Chaos, Schmerzen, Schreie – es war einfach schrecklich“, fasst Michael Stern zusammen, was er am Rande der Loveparade erlebt hat. Er sah Einsatzkräfte, die zusammenbrachen. Männer wie Bäume, die weinten wie kleine Jungen. Und viele von ihnen kamen zu Stern. Denn er ist Seelsorger und war am Samstag für die Betreuung der Feuerwehrleute und Polizisten zuständig. „Ich habe so ein klares Bild im Kopf, was da genau passiert ist in diesem Tunnel“, sagt Stern. Denn die, die es miterlebten, haben es ihm erzählt: „Chaos, Tote, Verletzte. Viele haben mir gesagt: ,Da unten war einfach nur Krieg.’“

Deshalb gibt es auch in den Tagen danach für Michael Stern noch viel Arbeit. Er ist Mit-Organisator der Hotline für Betroffene. Per Telefon werden Opfer und Angehörige an Psychotherapeuten vermittelt oder erhalten Informationen über Vermisste. „Hier laufen alle Drähte heiß“, sagt Stern im Interview und muss sich dann auch schon wieder verabschieden. Sein drittes Telefon klingelt.

„Hier laufen alle Drähte heiß.“

„Nach einem solchen Erlebnis ist jeder belastet“, weiß Traumatologe Dr. Klaus Wackernagel aus Essen. Für eine gewisse Zeit sei das normal. „Das Sicherheitsgefühl ist erschüttert.“ Um eben diese Sicherheit wiederzubekommen, gebe es zwei Regeln für den Umgang mit Opfern: Traumatisierte Menschen haben häufig den Drang sich mitzuteilen, gleich zehnmal das gleiche Ereignis zu schildern. Familie und Freunde sollten dann einfach zuhören. Genauso gebe es den Rückzug, die Verleugnung. „Dann sollte man die Traumatisierten auch einfach in Ruhe lassen“, weiß der Psychotherapeut.

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Mit unaufdringlicher Aufmerksamkeit und Geduld ihres Umfeldes könnten Betroffene das Geschehene verarbeiten und so das Trauma überwinden. „Wenn nach zwei bis drei Monaten immer noch Angstzustände oder Albträume auftauchen, sollte dennoch professionelle Hilfe gesucht werden“, sagt Wackernagel.

Verantwortliche sollten Schuld eingestehen

Wer keine Rückzugsmöglichkeit oder Hilfe im privaten Umfeld findet, sollte sich natürlich sofort an die Seelsorger wenden. „Wird das Erlebte einfach ignoriert, drohen Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen oder Angstzustände“, erklärt der Traumatologe. Erkrankungen, die auch bei Soldaten, Vergewaltigungsopfern oder den Überlebenden einer Katastrophe beobachtet werden.

Und noch einen wichtigen Punkt betont Psychotherapeut Wackernagel: „Die Veranstalter sollten ihre Schuld anerkennen.“ Betroffene zweifeln sonst an der Realität, denken, sie hätten sich das Erlebte vielleicht nur eingebildet. „Dann können sie ihr Sicherheitsgefühl so schnell nicht mehr aufbauen. Deshalb sollten die Verantwortlichen deutlich sagen: ,Ja, wir haben einen Fehler gemacht.’“

Hier gibt es mehr Informationen zur Loveparade-Tragödie.