Schwerte. Die Netto-Kundschaft in Geisecke hatte ihr Gesprächsthema. Von einem auf den anderen Tag hatte nahezu das komplette Personal gewechselt, das sie seit Eröffnung der Filiale bedient hatte. Die ursprüngliche Belegschaft hatte am letzten Tag der befristeten Arbeitsverträge vom Aus erfahren.
Reiner Kajewski, der zuständige Gewerkschaftssekretär bei Verdi, weiß, dass die Frauen aus Geisecke zu den vielen Netto-Beschäftigen gehören, deren Arbeitsverhältnis endete oder sich geändert hat, nachdem die Firma Netto, die Discounter-Sparte von Edeka, das Unternehmen Plus gekauft hat. „Man muss das Ziel sehen: Das Ziel ist, teure Kräfte loszuwerden und billige einzustellen.” Zwei der Frauen aus Geisecke erhielten als Fachkräfte den tariflichen Stundenlohn von mehr als 12 Euro die Stunde. Da sie ihren zweiten befristeten Vertrag aber einige Monate zuvor rückwirkend unterschrieben hatten, konnten sie mit Hilfe von Verdi nach einer Klage vor dem Arbeitsgericht eine Abfindung erstreiten.
Ehemalige Plus-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, die noch den tariflichen Lohn erhalten, sollen nun weniger Geld erhalten oder ihre Arbeitszeit reduzieren, damit Netto neues Personal einstellen kann, das für 6,50 Euro Stundenlohn arbeitet. Netto ist nicht tarifgebunden. Reiner Kajewski weist auf den „Leitfaden für die Verkaufsleiter bzgl. Mitarbeitergesprächen mit der Zielrichtung der Reduzierung der vertraglichen Arbeitszeit” hin. „Im persönlichen Gespräch muss hervorgehoben werden, warum eine Arbeitszeitanpassung mit dem Mitarbeiter vereinbart werden soll”, so der Tipp.
Die Anweisung: „Vorteile der Arbeitszeitverkürzung für den Mitarbeiter hervorheben” ist fett gedruckt. Dann folgt die Liste der vermeintlichen Vorteile. So sollen die Vorgesetzten unter anderem preisen, dass man dann nur drei- statt viermal die Woche zur Arbeit fahren muss und so Benzin spart und auch nicht mit einer Versetzung in einen anderen Laden rechnen muss.
Gerade diese Drohung einer Versetzung mache vielen Angestellten zu schaffen, so Kajewski. Er hatte zu einem sonntäglichen Treffen nicht nur die Netto-Frauen aus Geisecke eingeladen, sondern Dutzende aus Dortmund und Umgebung.
Weite Wege zum neuen Arbeitsplatz
Der Gewerkschafter erfuhr: Die Frauen haben oft keinen Führerschein oder kein Auto, müssen weite Wege auf sich nehmen, um ihren Teilzeitjob zu behalten und mit dem Gehalt als Alleinverdienerinnen die Familien zu ernähren. Zwar habe sich Netto dahingehend geäußert, den Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel zu übernehmen, „aber das ist bislang nur eine Protokollnotiz”, so der Dortmunder Gewerkschaftssekretär. „Wir wollen die Tarifbindung umgesetzt wissen.” Für ihn wird der „Konkurrenzkampf der Discounter auf dem Rücken des Personals umgesetzt.” Edeka sei hier Marktführer. Er setzt jetzt seine Hoffnung auf das Ergebnis der laufenden Betriebsratswahl: Im Netto-Geschäftsbezirk Nord-West können mehr als 6000 Angestellte ihre Stimmen abgeben – zum ersten Mal auch für eine Verdi-Liste.