Dorsten. Ungewöhnliches Angebot in der Dorstener Schildkrötenauffangstation: Tierärztin Susanne Ewens und Reptilienexpertin Barbara Klobusch bieten dort die kontrollierte Überwinterung für die gepanzerten Tierchen an - im Kühlschrank.
„Als meine Mutter hörte, dass El Greco die nächsten Monate im Kühlschrank verbringen wird, war sie entsetzt”, gibt Daniela Vengels zu. „Ich musste mir diesbezüglich schon einiges anhören. Ich gebe ja zu, auch ich hatte zunächst Bedenken. Es ist schließlich das erste Mal.” Ja. Aber nicht nur für sie und für El Greco – auch für Tierärztin Susanne Ewens und für Barbara Klobusch von der Schildkröten-Auffangstation. Die beiden Fachfrauen für Reptilien bieten in den kommenden Monaten nämlich diesen ganz besonderen – für die Tiere allerdings Über-Lebensnotwendigen Service an: Die kontrollierte Überwinterung.
Tiere benötigen dringend Ruhephase
„Leider wissen viele Schildkröten-Besitzer gar nicht, dass die Tiere diese Ruhephase dringend benötigen”, ärgert sich Susanne Ewens. „Manche Reptilien sind fünf, sechs Jahre oder noch älter – und haben noch nicht einmal richtig überwintert.” Das soll sich nun ändern. Zum einen werden die etwa 50 Tiere (Land- und Wasserschildkröten) aus der Auffangstation nun in den überwachten Schlaf geschickt, zum anderen aber auch Tiere, deren Besitzer die Möglichkeit nicht haben, ihren Vierbeinern in der Winterzeit das entsprechend temperierte Umfeld zu schaffen. „Wir hatten überlegt, ob wir in diesem Punkt nicht mit der Eishalle in Dorsten kooperieren können. Die haben dort auch große Kühlräume”, sagt Ewens. Das scheiterte letztlich aber an den Hygienevorschriften.
Nun kommen die Reptilien natürlich nicht einfach in eine Kiste und ab in den Kühlschrank, wo sie die nächsten Monaten vor sich hin bibbern. Nein, die Tiere werden zunächst untersucht, Stuhl- und möglicherweise Blutproben sollen Aufschluss über eventuellen Krankheits- oder Parasitenbefall geben. Die Veterinärin schaut nach den Vitalfunktionen der kleinen Patienten. El Greco beispielsweise ist da ein vorbildlich fitter Kandidat. „Gut gehalten, gut ernährt”, lobt Ewenes. Nicht jede Schildkröte ist so gut drauf wie der kleine Grieche, der sich bei der Untersuchung als Griechin entpuppte. Viele leiden unter falscher Haltung und Ernährung. Oft ein jämmerlicher Anblick. Susanne Ewens tut in diesen Fällen, was medizinisch noch möglich ist. Inzwischen hat sich die Dorstenerin bundesweit als Reptilienexpertin einen Namen gemacht. Gleiches gilt für die Schildkrötenauffangstation. „Wir bekommen inzwischen Tiere sogar aus Ostfriesland oder Leipzig”, sagt Barbara Klobusch.
Erster Europäischer Kongress für Reptilien
Die kontrollierte Überwinterung will Dr. Ewens auch nutzen, um darüber eine entsprechende Studie anzufertigen. Sie hat Untersuchungsbögen entwickelt, um möglichst viel Datenmaterial zu sammeln. Ewens: „Nächstes Jahr findet in München der erste Europäische Kongress für Reptilien statt. Dazu möchte ich dann eine praktische Anleitung für die kontrollierte Winterruhe fertigen, um sie Kollegen zur Verfügung zu stellen.”
El Greco indes interessieren die Daten nicht. Sie ist froh, dass keiner mehr an ihr rumzuppelt und sie wieder in die Box darf. In einer Woche wird Daniela Vengels El Greco wieder in die Praxis bringen. Dann kommt die Kleine auf Diät und wird auf den Winterschlaf vorbereitet, bevor es in die Kühlkammer geht.
Ob's für Herrchen und Frauchen ein Besuchsrecht in der Winterzeit gibt? „Darüber verhandeln wir noch”, lacht Susanne Ewens. Spätestens im Frühjahr gibt's ansonsten ergreifende Wiedersehens-Szenen.