Lüdenscheid. Ausnahmezustand im märkischen Sauerland. Der anhaltende Schneesturm hat das öffentliche Leben lahm gelegt. Ein Krisenstab in Lüdenscheid ist in ständiger Alarmbereitschaft. Bis zum Abend gab es 42 Unfälle. Das THW hilft den liegengebliebenen Lkw auf der A45.

Um 12 Zentimeter wuchs am Dienstag die Schneedecke rund um die Wetterstation Oberhunscheid bei Lüdenscheid. Nicht viel, möchte man meinen, doch bei Temperaturen um null Grad setzte sich der Neuschnee schnell. Die Folge: Die weißen Berge auf den Straßen und Dächern wachsen zwar nicht mehr so schnell, aber dafür werden sie immer schwerer.

Kurz vor Dienstschluss hatte Karl-Josef Bobbert vom Deutschen Wetterdienst noch einmal nachgemessen: Knapp 53 Zentimeter betrug die Schneehöhe um 16.20 Uhr. Am Mittwoch könnte der Allzeitrekord der 1940 eröffneten Wetterstation, der bei 70 Zentimetern liegt und am 10. Februar 1953 gemessen wurde, fallen. Laut Wetterdienst muss in der Nacht auf Mittwoch mit weiteren 30 Zentimetern Neuschnee im Märkischen Kreis gerechnet werden.

Angesichts der chaotischen Situation in den südlichen Bereichen des Kreises und der beunruhigenden Wetterprognose bereitet sich die Kreisverwaltung auf das Schlimmste vor: Nach einem Treffen im Lagezentrum des Kreishauses Lüdenscheid wurde am Dienstag ein Teil des Krisenstabes in Alarmbereitschaft versetzt.

Zwischen den Vertretern der Fachbehörde, der Feuerwehr, des Rettungsdienstes, der Hilfsorganisationen sowie der Kreisverwaltung wurde die aktuelle Unwetterlage erörter. Vorab waren alle Ordnungsbehörden der Städte und Gemeinden im Kreisgebiet abgefragt worden, ebenso die Feuerwehren sowie die Polizei.

Zahlreiche Straßen gesperrt

Sorge bereitet vor allem die Lage auf den Straßen. Viele Verbindungen sind schon seit den Morgenstunden gesperrt. Der Krisenstab rechnet mit einer weiteren Verschärfung der Verkehrsbehinderungen, da zu dem angekündigten Neuschnee auch noch Sturmböen bis zu einer Spitzengeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern erwartet werden. Dies könne zu massiven Schneeverwehungen führen. Derweil geht den Städten und Gemeinden das Streusalz aus.

Auch an brisanten Steigungsstrecken kann oft nur noch Split gestreut werden. An den Steigungsstrecken rund um Lüdenscheid blieben laut Polizei zahlreiche Lkw hängen und blockierten den weiteren Verkehr. Die Feuerwehren haben bereits reagiert und jeweils mindestens einen Zug Einsatzfahrzeuge mit Schneeketten ausgerüstet.

Last auf den Dächern nimmt zu

Sorge bereitet dem Krisenstab zudem die Ankündigung des Wetterdienstes, dass der Schnee im Laufe der Nacht nasser und damit schwerer wird. Bis Mittwochabend seien weitere schauerartige Schneefälle möglich. Die Schneelast auch auf den Dächern werde sich deutlich erhöhen. Dann besteht auch die Gefahr von Schneebruch in den Wäldern und an den Fahrbahnrändern.

„Bleiben Sie bloß aus dem Wald heraus”, warnt Markus Gumpricht vom Regional-Forstamt märkisches Sauerland in Lüdenscheid: „Man hört die Baumkronen nicht knacken, bevor sie fallen.” Verschneite Waldwege seien auch für die Rettungskräfte schwer zugänglich. Wann die Bäume unter der Schneelast brechen, sei nicht vorhersehbar. Dennoch: „Der schwere Schnee in den Kronen und starker Wind gibt den Bäumen in den seit Kyrill aufgerissenen Beständen den Rest”, erklärt Gumpricht.

Besonders beobachtet werden von den örtlichen Bau- und Ordnungsbehörden inzwischen alle Gebäude mit Flachdächern. Nachdem die meisten Schulen und Sporthallen im Märkischen Kreis bereits aus Sicherheitsgründen geschlossen wurden, gilt das Augenmerk der Behörden nun auch Supermärkten, Firmenhallen und Wohngebäuden mit Flachdächern. Gleichwohl warnt der Kreis Hausbesitzer davor, nun selbst Schnee vom Dach zu schippen. Das Risiko, dabei abzustürzen oder durch das Dach zu brechen, sei viel zu hoch. Mit Hilfe durch die Feuerwehr ist in der jetzigen Lage allerdings kaum zu rechnen.

Was sonst die Ausflügler anlockt, stoppte jeden Betrieb am höchsten Punkt des Märkischen Kreises. Angelika und Reiner Wommelsdorf beispielsweise schlossen am frühen Nachmittag die Gaststätte Zur Nordhelle. „Wir kommen hier sonst nicht mehr weg.”

42 Unfälle mit 60 000 Euro Schaden

Am Dienstagabend war die Lage nach Worten von Kreisbrandmeister Rainer Blumenrath „relativ ruhig”. "Wir haben überall Kolleginnen und Kollegen in Bereitschaft, die fußläufig eingreifen können." So ein Schneechaos wie in diesem Winter hat der 55-Jährige in seiner Zeit als Kreisbrandmeister noch nicht erlebt. Sein Rat an Fußgänger und Autofahrer: "Besonnen bleiben, die Ruhe bewahren und nicht in Panik geraten. Dann kommt auch jeder an sein Ziel."

Die Stadt Kierspe stellte den Winterdienst auf allen Nebenstrecken ein und verteilte die Helfer des DRK vor Ort auf die Feuerwehr-Standorte. Das THW aus Lüdenscheid, Halver, Altena, Balve und Iserlohn sowie aus Unna war auf der A 45 (Sauerlandlinie) fleißig im Einsatz, um Lkw an Steigungen voranzubringen. Erste Bilanz der Polizei: 42 Unfälle bis 20 Uhr am Dienstag im Märkischen Kreis mit einer Gesamtschadenshöhe von 60 000 Euro.