Berlin. .

Die Kölner verbringen zweieinhalb Tage des Jahres im Stau. Im Ruhrgebiet sind auf vielen Abschnitten der A 40 täglich rund 100 000 Autos unterwegs – wegen der Überlastung eher schleichend. Auch: Ein Drittel aller Stau- und Engpass-Stellen des Bundesgebiets sind an Rhein und Ruhr zu finden. Warum geht es so eng zu auf den Straßen in Nordrhein-Westfalen? Eine Antwort findet sich in einem Papier des Bundestags.

Die Parlaments-Drucksache 18/9474 ist eine Bilanz der Straßenbau-Tätigkeit der vergangenen 15 Jahre, die die Bundesregierung auf Fragen der Linkspartei vorlegt. In dem Dokument ist aufgelistet, wie die einzelnen Bundesländer das Geld investiert haben, das ihnen zwischen 2001 und 2015 für Fernstraßen-Neubau, Erweiterungen und Unterhalt zur Verfügung stand. Ob rot-grüne oder schwarz-gelbe Landesregierungen: Die nordrhein-westfälischen Kabinette haben in diesen eineinhalb Jahrzehnten mehrere Milliarden Euro liegen lassen. Sie haben sie nicht verbaut – und somit möglicherweise die Grundlage geschaffen für so manchen Stau von heute.

Neue Straßen standen oft nur auf dem Papier. Von den ab 2001 vorgesehenen 141 Kilometern neuer NRW-Autobahnteilstücke sind in den letzten 15 Jahren 43 Kilometer fertiggestellt worden. Das ist ein Drittel des geplanten Netzausbaus. Nicht nur Ost-Länder wie Sachsen (77 Prozent) und Brandenburg (68 Prozent) bringen es auf weit höhere Werte: Bayern hat 88 Prozent verwirklicht – konkret: 230 gebaute von 260 geplanten Kilometern. In Niedersachsen waren es 53, in Baden-Württemberg 42 Prozent.

Noch auffälliger sind die Differenzen bei den Neubaukilometern für Bundesstraßen. NRW schaffte von 680 vorgesehenen Kilometern in dieser Zeit gerade ein Viertel, also 167. Bayern hat mit 46 Prozent hier wieder die Spitzenposition unter den Bundesländern erreicht.

Hoch sind auch die Beträge, die das Ausbaugesetz zwar vorsah, die aber von NRW nicht abgerufen wurden: Für den Neubau und die Erweiterung von Autobahnen und Bundesstraßen hätte die Rhein-Ruhr-Region in dem 15-Jahres-Zeitraum acht Milliarden Euro ausgeben können. Tatsächlich wurden nur 4,9 Milliarden investiert. Das sind 60 Prozent. Ähnlich ist die Lage beim immer wichtiger werdenden Erhalt des bestehenden Fernstraßennetzes. So flossen für die Instandhaltung von Autobahnen 3,1 Milliarden Euro. Möglich wären aber 4,6 Milliarden gewesen.

Roman Suthold ist der Verkehrsexperte des ADAC Nordrhein. Er hat eine Erklärung für den Rückstand: „Nordrhein-Westfalen haben die baureifen Projekte gefehlt. Das war der politischen Konstellation geschuldet. Vor allem Rot-Grün hat sich zu sehr zurückgehalten.“ Beim Landesbetrieb Straßen NRW seien, unter Rot-Grün wie Schwarz-Gelb, Stellen abgebaut worden. Man sei auch der Meinung gewesen, dass die Schiene mehr Verkehr von der Straße übernehmen könne. Das war eine Illusion.“ Bayern habe anders gehandelt, sagt Suthold. „Dort hat man auf Risiko geplant, selbst wenn Projekte zunächst nicht realisierbar waren“.

Besonders verärgern den ADAC-Mann die Debatten über die maroden Rheinbrücken bei Leverkusen (A 1) und Duisburg (A 40), die bald unter Zeitdruck ersetzt werden müssen. Es sei ihm „unverständlich“, dass die NRW-Politik beim Straßen- und Brückenerhalt „die Hausaufgaben nicht gemacht hat. Die Fachwelt hat die heutigen Probleme schon 1998 gesehen.“

Inzwischen wirft der SPD-Verkehrsminister Michael Groschek das Steuer herum. Aufholen ist angesagt: Im neuen Bundesverkehrswegeplan ist der NRW-Anteil deutlich gewachsen. 80 neue Großbaustellen sind in den nächsten zwei Jahren zu erwarten. Der Landesbetrieb Straßen NRW hat 100 neue Ingenieure und Planer eingestellt und sucht weitere Bewerber. Groschek fordert zudem die Bürgerinitiativen bei Einsprüchen gegen Projekte zur Zurückhaltung auf.