Marseille. Deutschland scheiterte bei der EM im Halbfinale. Es könnte für Kapitän Bastian Schweinsteiger der letzte Auftritt auf großer Bühne gewesen sein.

Bastian Schweinsteiger ging noch einmal zurück. Eigentlich war der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft schon mit hängendem Kopf auf dem Weg in die Kabine. Am anderen Ende des Rasens im Stade Velodrom von Marseille klatschten die französische Nationalelf zusammen mit ihren Fans das laute Vikinger-Huh wie es Island über diese EM gebracht hatte. Schweinsteiger sah das. Und vielleicht kam ihn in diesem Moment der Gedanken: Ich will mich richtig verabschieden. Also drehte er um, ging zurück zu den deutschen Fans und klatschte ein leises Dankeschön.

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Es gibt Szenen, die kippen ein ganzes Spiel um, dass es nicht mehr dasselbe ist. Aber nur ganz wenige von ihnen haben auch die Kraft, einer ganzen, ruhmreichen Karriere einen tragischen Abgang zu bereiten. Zinedine Zidanes Kopfstoß gegen Marco Materazzi im WM-Finale 2006 war so eine. Damals war es das letzte Spiel des großen, französischen Zampanos. Frankreich, das bis dahin überlegen war, verlor ohne den vom Platz gestellten Kapitän Zidane gegen Italien. Am späten Donnerstagabend im EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich (0:2) sah die Welt dabei zu, wie eine ebenso umkehrende Szene über Bastian Schweinsteiger kam. Und auch sie könnte dafür gesorgt haben, dass es der letzte Auftritt des großen, deutschen Zampanos auf einer vergleichbaren Bühne war.

Schweinsteiger dirigierte das DFB-Team eine ganze Halbzeit wie in alten Zeiten

Eine ganze Halbzeit lang hatte Schweinsteiger gegen Frankreich seine Mannschaft dirigiert wie in alten Zeiten. Die Idee von Bundestrainer Joachim Löw, seiner Elf mit dem Kapitän im „Hexenkessel“ von Marseille mehr Ruhe und Erfahrung zu verabreichen, schien aufzugehen, nachdem er rechtzeitig von einer Knieverletzung aus dem Italien-Spiel im Viertelfinale genesen war. Deutschland dominierte die Partie. Doch dann kippte sie.

Als ihm der Ball nach einer Ecke im Strafraum an die Hand sprang, schien Schweinsteiger schon zu ahnen, welch Unheil kommen würde. Die Augen kniff er zu, als Schiedsrichter Nicola Rizzoli pfiff. Rizzoli hatte vor zwei Jahren im Maracana auch das WM-Finale gepfiffen. Damals ging Schweinsteiger als siegfriedhafte Heldenfigur hervor, die sich blutend in die Schlacht warf, dass Deutschland Argentinien besiegte und nach 24 Jahren endlich wieder Weltmeister wurde. Am Donnerstag pfiff Rizolli, und Schweinsteiger wurde zur tragischen Figur. Der Elfmeter war berechtigt. Schweinsteiger hatte den Arm über dem Kopf, wo er nicht hin gehört. Antonine Griezmann traf zum 1:0 (45. Minute). Und dass Schweinsteiger auch beim 2:0 von Griezmann (72.) zu spät grätschte, um den Treffer zu verhindern, da verstand jeder im Stadion, dass ihn das Glück verlassen hatte. „Ich mache da keine Vorwürfe. Ein Spieler kann in dieser Zehntelsekunde nicht reagieren. Das ist einfach eine unglückliche Situation“, sagte Löw. „Wir hatten diesmal einfach nicht das notwendige Glück."

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Das Halbfinale gegen Frankreich war das 120. Länderspiel in der Karriere des Bastian Schweinsteiger. Er hat mit dieser Partie auch einen Weltrekord aufgestellt: Kein Spieler in der Geschichte des Fußballs hat jemals mehr WM- und EM-Spiele bestritten als der 31-Jährige. Mit insgesamt 38 Turniereinsätzen (20 WM- und 18-EM-Auftritten) löst Schweinsteiger einen alten Weggefährten aus der Nationalelf an der Spitze ab: Miroslav Klose (37). Klose und Schweinsteiger haben schon zusammen auf der großen Bühne gespielt, da war der, der ihn am Donnerstags ersetzen sollte, Leroy Sané, gerade acht Jahre alt. 2004 kam Schweinsteiger in allen drei Vorrunden-Partien der ernüchternden EM in Portugal zum Einsatz. Damals war er 19 und noch nur eine Zukunftshoffnung. Zwölf Jahre später hat Schweinsteiger eine neue, deutsche Ära im Weltfußball geprägt. Klose ist längst von der großen Bühne verschwunden. Er trat nach dem WM-Triumph vor Rio 2014 zurück. Für Schweinsteiger kam das nicht in Frage. Er wollte nach dem WM- auch den EM-Titel. Und dafür kämpfte er sich unermüdlich nach zwei Knieverletzungen zurück, als vielleicht sogar Löw nicht mehr damit rechnete.

Schweinsteiger wirkt wie ein tapferer Ritter in rostiger Rüstung

Schweinsteiger ist der älteste 31-Jährige im Fußballgeschäft. Durch seine vielen Verletzungen und die früh ergrauten Schläfen wirkte er in den letzten Jahren oft schon wie ein tapferer Ritter in rostiger Rüstung. Aber Schweinsteiger war bisher auch der größte Comebacker des Fußballs. Schon 2012 und 2014 ging er nach Verletzungen in ein Turnier. Löw setzte trotzdem immer auf ihn. 2012 ging das schief, 2014 grandios auf. Nun, 2016, bleibt am Ende eines ansonsten guten Turniers der deutschen Mannschaft ein bitterer Abend für Schweinsteiger. Er ist zum tragischen Ritter geworden. „Er hat viele Zweikämpfe gewonnen. Er hat das gut gemacht. Dafür, dass er uns so lange verletzt war, hat er uns schon gut geholfen“, sagte Löw zwar.

Als er Schweinsteiger in der 79. Minute für den elf Jahre jüngeren Sané auswechselte, gab er ihm einen Klaps. Kurz nach Schweinsteiger begann auch Löws Zeit bei der Nationalelf – erst als Assistent dann als Bundestrainer. In der Nacht von Rio lagen sich beide nach dem Finalsieg weinend in den Armen. Es könnte sein, dass Löw in Zukunft ohne Schweinsteiger weitermachen muss.