Évian-les-Bains. Das Selbstvertrauen im Team von Joachim Löw fällt vor dem Viertelfinale am Samstag auf. Deutschland hat als Turniermannschaft aus der EM-Pleite von 2012 gelernt.
Der Raum im Mannschaftsquartier der deutschen Nationalmannschaft in Évian-les-Bains ist hergerichtet wie ein Kinosaal, die Sitzreihen allerdings fallen etwas üppiger aus als gewöhnlich. Es sind Couchen und Sessel, hinten Korb, vorne weißer Stoffbezug auf dickem Polster. Die Aufführung, die es am Montagabend auf dem riesigen Fernseher zu sehen gab: Spanien gegen Italien. Ein Klassiker, der aus deutscher Sicht auch das cineastische Motiv vom Spiel mit der Angst beinhaltete, denn Italien gewann und steht als Gegner Deutschlands im Viertelfinale der Europameisterschaft am Samstag (21 Uhr) in Bordeaux fest.
Präsident Grindel zufrieden
Der Gegner könnte, er müsste sogar großes Unbehagen auslösen am Genfer See, weil die teutonische Erfolgsgeschichte bei großen Turnieren stets dann endete, wenn sich die Italiener in den Weg stellten. Zuletzt schmerzhaft erlebt im tränenreichen Halbfinale der Heim-WM 2006 und beim Aus im EM-Halbfinale 2012. Noch nie konnte Deutschland Italien bei einem großen Turnier bezwingen. Die Älteren erinnern sich noch an das 3:4 im WM-Halbfinale 1970 und das 1:3 im WM-Endspiel 1982.
Tatsächlich aber macht sich im Lager der besten deutschen Fußballer eine beschwingte Laune breit. Zum Training am Montag erschien DFB-Präsident Reinhard Grindel im blütenweißen Hemd, das so strahlte wie das Lachen der trainierenden Ersatzspieler.
Gewiss, den 3:0-Sieg gegen die Slowakei am Vorabend in Lille wollten Bundestrainer Joachim Löw („Wir müssen uns steigern, wenn wir das Turnier gewinnen wollen“) und die Spieler aufgrund der unzureichenden Qualität des Gegners nicht überbewertet wissen. Aber zur Wahrheit gehörte auch, dass sich der Weltmeister von 2014 seit jener magischen Nacht in Rio zwei Jahre lang durch allerhand Spiele gequält hatte. Es waren biedere Spiele, die schlechte Ergebnisse zur Folge hatten, manchmal auch schlechte Spiele mit besserem Ausgang – so gut wie nie aber Spiele von prägnanter Schönheit und überzeugendem Ergebnis.
Das war am Sonntagabend anders. Bemerkenswerter Weise zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Fußball-Nation und sogar die Spieler selbst einen deutlichen Sieg wünschten. Weil es so kam, macht sich auf dem Kontinent gerade mal wieder jene Gewissheit breit, die die Konkurrenz wahlweise bestaunt, verflucht oder bewundert. Deutschland ist da, wenn es wichtig wird.
Rhythmus plus Wir-Gefühl
„Es braucht immer ein bisschen, bis man richtig reinkommt ins Turnier. Es ist selten so gewesen, dass eine Mannschaft alle Spiele mit zwei, drei Toren Unterschied gewinnt und am Ende Turniersieger wird. Dementsprechend liegen wir gut im Plan“, meinte Bayern-Profi Thomas Müller nach der Partie.
Aber es ließe sich auch eine psychologische Komponente feststellen. Eine gesteigerte Wachsamkeit in den Phasen, in denen es um Größeres geht. „Wir sind eher eine Turniermannschaft als eine Testspielmannschaft, aber das müssen wir erst noch abschließend beweisen bei diesem Turnier“, meinte zum Beispiel Mittelfeldstratege Toni Kroos. Er spielt bei Real Madrid und hat gerade die Champions League gewonnen. Spielern seiner Klasse – wie sie Deutschland hat – darf man unterstellen, dass sie die persönliche Bereitschaft rechtzeitig noch etwas nach oben regeln.
Es gibt gute Gründe für Optimismus
Aber jetzt wartet auf den Bundestrainer und sein Team höchste europäische Qualität. „Die Italiener sind taktisch super geschult, die Abstände stimmen zentimetergenau“, schwärmt Jerome Boateng, dem als Abwehrchef Neigungen im Bereich taktischer Detailverliebtheit durchaus zu unterstellen sind. „Es ist schon imponierend, wie Italien spielt“, sagte Löw. „Ich freue mich auf das Spiel. Italien hat die älteste, wir die jüngste Mannschaft im Turnier. Für mich treffen die beiden besten Mannschaften des Turniers bisher aufeinander.“
Löw weiß, was seine Mannschaft kann und dass es gute Gründe gibt, an ein Weiterkommen zu glauben. Da wäre erstens die Defensive, die zwei Jahre lang so geordnet wirkte wie ein Pariser Kreisverkehr im Feierabendverkehr, nun aber Bestwerte erzielt. Kein Gegentreffer bisher. Mittlerweile – Punkt zwei – hat die Offensive ihre Leichtigkeit zurück. Und drittens scheint Löw das goldene Händchen nicht eingebüßt zu haben. Er brachte Joshua Kimmich für Benedikt Höwedes, er entschied sich für Mario Gomez als Stürmer, und er brachte wieder Mittelfeldspieler Julian Draxler, der gegen die Slowakei ein Schlüsselspieler war.
Deutschlands EM-Film bewegt sich nach etwas tempolosem Beginn nun auf einen ersten Höhepunkt zu. Und spätestens am 10. Juli wird dann feststehen, welchem Genre er zuzuordnen ist: Drama, Tragikomödie oder doch Fortsetzungsroman mit Happy End.