Paris/Évian-les-Bains. Mesut Özil meldete sich mit einer guten Leistung im DFB-Team zurück. Er übt gleichzeitig Kritik an den Leuten, die bei Turnieren immer gern „reinquatschen“.

Am Tag nach der erfolgreichen Dienstreise nach Paris hatte Mesut Özil (27) die aus den vergangenen Wochen bekannte Umgebung zurück: das schicke Hotel Ermitage in Évian-les-Bains. Hohe Zäune umgeben das deutsche EM-Quartier am Südufer des Genfer Sees und signalisieren gut sichtbar: wir hier drinnen, ihr alle da draußen. Eine Denkweise, die sich der Fußball-Nationalspieler in den vergangenen Jahren zu eigen gemacht hat, zu eigen machen musste.

Was ist ein "Man of the Match"

Mesut Özil erhielt für seine Leistung gegen Nordirland eine Trophäe. Der Arsenal-Profi wurde als „Man of the Match“ ausgezeichnet. Nach dem Spiel gegen die Ukraine dürfte sich Toni Kroos bereits über den Preis freuen, nach dem Spiel gegen Polen Jerome Boateng. Wie aber läuft die Kür des besten Spielers einer EM-Partie?

Die Vorauswahl treffen die Zuschauer. Sie können für ihren Favoriten auf der Uefa-Homepage stimmen. Die Abstimmungsseite wird zum Beginn der zweiten Halbzeit freigeschaltet und in der 85. Minute geschlossen. Dann kommt die Technische Kommission der Uefa ins Spiel. Dieser gehören insgesamt 13 ehemalige Top-Spieler und -trainer an. Manchester Uniteds Legende Sir Alex Ferguson, Ex-Bundesliga-Profi Ion Lupescu und Meistertrainer Thomas Schaaf sind auch dabei. Sie treffen gemeinsam mit einer sogenannten EM-Legende – im Spiel gegen die Nordiren war es Steffen Freund – die endgültige Entscheidung.

Übrigens: Die Kommission kürt auch den besten Spieler, den besten Jungprofi und das schönste Tor des Turniers. (Denis de Haas)

Es hilft Mesut Özil, zwischen Innen- und Außensicht zu unterscheiden. Denn kaum einer der Nationalspieler muss stets soviel Kritik über sich ergehen lassen. Das hängt mit den Erwartungen zusammen, die man an einen wie ihn hat, an einen Profi, der für Real Madrid gespielt hat und nun bei FC Arsenal in London in der Premier League eine Größe ist.

Selbstbewusster Weltmeister

Jener Mesut Özil stand nach dem 1:0-Sieg über Nordirland, der Deutschland den Einzug ins Achtelfinale der EM als Gruppenerster sicherte, im Bauch des Prinzenpark-Stadions in Paris und sagte: „Bei einem Turnier ist es immer so, dass viele Leute meinen, reinquatschen zu müssen. Aber wir konzentrieren uns nur auf uns. Wir sind Weltmeister und müssen doch keinem mehr etwas beweisen dort draußen.“ Das klingt ein bisschen nach dem Trotz von einem, der sich oft unverstanden fühlt.

Im Fadenkreuz der Kritiker

Es war zuletzt wieder viel gequatscht worden. Die ersten beiden EM-Spiele waren nicht gerade begeisternd geraten und der ebenfalls verkopft wirkende Özil war wie stets bei Turnieren ins Fadenkreuz der Öffentlichkeit geraten. Die Anklagepunkte: mangelhaft getretene Eckbälle (Kronzeuge: Mario Basler), demotivierende Körpersprache (Mehmet Scholl), Nicht-Singen der Hymne (die üblichen Nörgler). All das vermischt sich dann irgendwie zu der Wahrnehmung, als könnte der gebürtige Gelsenkirchener zwar die große Leichtigkeit versprühen, aber hätte einfach keine Lust dazu, was großer Unsinn ist.

Gegen Nordirland wurde Mesut Özil zum Mann des Spiels gewählt. Das lag daran, dass der 27-Jährige sein Können recht gut sichtbar freigelegt hatte in den 90 Minuten zuvor. Er bereitete ein halbes Dutzend Chancen auf eine Weise vor, die nur wenige beherrschen: gedankenschnell, präzise, erfolgreich.

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Eine riesige Chance vergab er selbst, aber dafür erreichte er eine unter den Statistik-Freunden für recht einmalig gehaltene Passquote. Einen Wert 98,5 Prozent angekommener Pässe hatten fleißige Mathematiker errechnet, was für Nicht-Mathematiker bedeutet: nahe an der Perfektion. Das belegt: Özil ist der, der den ganzen Mechanismus zum Laufen bringen kann, dann sieht deutscher Fußball aus wie ein Gemälde. Aber er braucht dafür die richtigen Zuspiele (von Toni Kroos) und danach oder am besten gleichzeitig die richtigen Laufwege seiner offensiven Kollegen (Mario Götze, Thomas Müller, Mario Gomez). „Wir brauchen da Spieler, die in die Tiefe gehen“, erklärte Bundestrainer Joachim Löw schon mit Blick auf den nächsten defensiven Gegner im Achtelfinale: „Deshalb war Mesut auch heute stärker, weil er in der Spitze Anspielstationen hatte und den letzten Pass spielen konnte.“

Froh über eine gute Leistung

Die Frage bleibt nur, ob es Özil und seinen Kollegen gelingt, diese spielerische Harmonie auch gegen Gegner herbeizuführen, die weniger Platz zulassen als die überforderten Nordiren. Das ist ja auch so ein Anklagepunkt, dass Özil nicht mehr auftauche, wenn es wirklich wichtig wird. Jetzt wird es bald wieder wichtig. „Ich bin froh, dass ich eine gute Leistung gebracht habe, aber ich weiß auch, dass ich mich noch steigern kann“, sagt er, weil er weiß, dass die da draußen das hören wollen. Im Innern gibt’s andere Maßstäbe: „Jeder arbeitet offensiv wie defensiv. Das Wichtigste ist, dass wir hinten zu null spielen“, hebt Mesut Özil hervor, bemerkenswerter Weise ja ein Offensivmann.