Lille. Der eingewechselte Routinier Bastian Schweinsteiger erzielte für das DFB-Team das Tor zum 2:0-Endstand im ersten Gruppenspiel gegen die Ukraine.

Ein letztes Zeitdokument dieses Abends in Lille fertigten die deutschen Spieler vor der Abreise noch an. Sie stellten sich in der Kabine auf, wie es Fußball-Mannschaften nach Siegen manchmal tun. 15 Spieler, 15 Lächeln. Sie haben sich gegenseitig im Arm, sie stützen sich auf der Schulter des anderen ab. Es ist, als flösse die Energie auf diese Art zwischen ihnen hin und her. Inmitten dieses Kraftfeldes steht Bastian Schweinsteiger, breitbeinig, Brust raus, Kinn nach oben, die Arme verschränkt. Ein Mantel aus rotem Samt und man hielte ihn für einen König, der seine Gefolgschaft um sich versammelt hat. Ein paar Figuren weniger um ihn herum und man hielte ihn für den Poster-Helden eines Hollywood-Streifens. Für einen wie Bruce Willis, der dem Kugelhagel unter Aufbringung aller Kräfte stets entkommt und dann kess den Gegner zur Strecke bringt. Dieses Foto sagte viel über den Verlauf des Spiels.

Deutschland startet mit Sieg in die EM

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    Die deutsche Nationalmannschaft hat die der Ukraine am Sonntagabend zum Start in die EM mit 2:0 geschlagen. Es war ein Sieg, der viele Gesichter hatte. Das von Abwehrchef Jerome Boateng, der in höchster Not retten musste, das von Torwart Manuel Neuer, der jede Gefahr aus dem Weg räumte, das des Mittelfeldstrategen Toni Kroos, der das Spiel filigran orchestrierte. Wegen all dieser Leistungen hatte die knappe 1:0-Führung bis Sekunden vor dem Ende Bestand, als Bastian Schweinsteiger eingewechselt wurde. Der 31-Jährige sollte eigentlich nur helfen, das Ergebnis mit seiner Routine über die Runden zu bringen. Dann sah er den Raum, der sich ihm bei einem Konter eröffnete, er sprintete auf der rechten Seite nach vorn und es zeichnete sich schon ab, was passieren würde: Flanke Mesut Özil, Tor Schweinsteiger. Sekunden nach seiner Einwechslung, Sekunden vor dem Ende.

    DFB-Kapitän Schweinsteiger kämpfte sich mühsam zurück auf den Platz

    Schweinsteiger, der Kapitän, der WM-Final-Gladiator, drohte diese EM zu verpassen. Zwei schwere Knieverletzungen hatten ihn Monate seiner Gesundheit gekostet. Mühsam kämpfte er sich zweimal zurück auf den Platz. Dass Bundestrainer Joachim Löw ihn nach Frankreich mitnahm, obwohl feststand, dass der Profi von Manchester United wenn überhaupt erst im Laufe des Turnieres zu körperlicher Fitness und vielleicht auch fußballerischer Form finden würde, sorgte mitunter für Argwohn. Nun brauchte dieser Bastian Schweinsteiger nur wenige Augenblicke, um zu beweisen, dass er wichtig ist. "Es gehört großer Wille dazu, nach so einer langen Verletzungszeit so zurückzukommen", stellte der andere Torschütze Shkodran Mustafi fest, "er hat es auch den Kritikern gezeigt, die gesagt haben, dass ein anderer als er mit zur EM sollte."

    All die Zweifel, die der Profi in den vergangenen drei Monaten vermutlich auch selbst mit sich herumgeschleppt hatte, verflüchtigten sich für schwerelose Augenblicke. Schweinsteiger lief den ganzen weiten Weg, den er für seinen Treffer gekommen war, wieder zurück, er feierte mit den Reservespielern vor der Bank und rannte direkt weiter vor die Tribüne mit den deutschen Fans, die er zu noch mehr Lärm animierte.

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    Das Tor als solches war schon wichtig, aber das Gefühl, das es verursachte, war noch wichtiger. Aus einem Sieg ohne größeren Erinnerungswert wurde ein emotionales Erlebnis, vielleicht - so hoffen sie bei Schwarz und Weiß - ein mitreißender Impuls für den Rest des Turniers. "Das freut mich sehr, dass er nach der Schuftereri der vergangenen Wochen und Monate so ein tolles Comeback gefeiert hat", sagte Bundestrainer Joachim Löw, als das Adrenalin größtenteils wieder aus seinen Adern gewichen war und sich der Blick einigermaßen kühl in die Zukunft richtete, "das gibt ihm und uns allen Auftrieb."

    Es hat solche Tore ja schon gegeben. Tore, die mehr sind, als bloß Tore. Tore, die möglicherweise nicht einmal sportlich entscheidend sind, die aber Momente voller Intensität produzieren, die Kräfte freisetzen, weil sie ein kollektives Gefühl wecken, das lautet: Wir schaffen das!

    Beispiel 2006: Deutschland wartete beim Spiel gegen die Polen sehnsüchtig auf den einen Treffer. Oliver Neuville erzielte ihn nach Vorlage von David Odonkor. Es hätte letztlich dieses Treffers nicht bedurft, um ins Achtelfinale einzuziehen, aber eine ganze Nation schien plötzlich das Gefühl zu haben, dass was geht bei diesem Turnier.

    Beispiel 2008: Michael Ballacks brachial getretener Freistoß brachte den Sieg gegen Mit-Gastgeber Österreich und führte die deutsche Mannschaft erst ins Viertelfinale und später fast zum Titel.

    Beispiel 2010: Das Auftaktspiel gegen Australien war längst entschieden. Miroslav Klose, Lukas Podolski und Thomas Müller hatten ein 3:0 herausgeschossen, als der Deutsch-Brasilianer Cacau nach Vorlage des Deutsch-Türken Mesut Özil traf. Es war ein Fest - und der erste fußballerische Beleg für multikulturelles Miteinander, der medial weltweit genau so gedeutet worden war. Ein Thema der Gemeinsamkeit, das die Mannschaft bis ins Halbfinale trug.

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      Beispiel 2012: Aufgrund einiger personeller Ausfälle rückte Lars Bender im Vorrundenspiel der EM in die Startformation gegen Dänemark. Noch nie hatte er an einem großen Turnier teilgenommen, nun spielte er erstmals und dann auch noch auf der ungewohnten Position als Rechtsverteidiger. Hinten gewann er den Ball, sprintete nach vorn und schoss den 2:1-Siegtreffer.

      Manuel Neuer lobt: "Er bringt Ordnung in unser Spiel"

      Schweinsteigers Treffer sah so ähnlich aus. Der zentrale Mittelfeldmann dokumentierte, dass er fast schon zurück ist. "Ich hoffe, dass er so früh wie möglich wieder von Anfang an spielen kann", sagte Manuel Neuer und lobte den früheren Bayern-Mitspieler: "Er bringt die Ordnung in unser Spiel, die wir brauchen." Schweinsteiger selbst verließ das Stadion in Lille schweigend. Bilder sagen ja mehr als Worte. Und Bilder hatte er ausreichend produziert.