Moskau. Mit einer großen Militärparade feiert Moskau am 9. Mai den 70. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland. Kremlchef Putin will an dem historischen Feiertag als Gastgeber glänzen. Doch die USA und meisten EU-Staaten bleiben dem Fest fern - ein beispielloser Affront.
Kaum etwas trifft die Russen so hart wie der Boykott des Westens zum Weltkriegsgedenken. Keine Sanktionen der USA und der EU im Ukraine-Konflikt oder auch das Fehlen westlicher Staats- und Regierungschefs bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi vor einem Jahr. Dass am 9. Mai, dem Tag des Sieges der Roten Armee über Hitlerdeutschland - 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges - die Verbündeten von einst wegbleiben, ist für Moskau ein beispielloser Affront von einschneidender Bedeutung. Kein Land hat mit rund 27 Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg solche Verluste erlitten wie die Sowjetunion.
Zu Tausenden kommen die Veteranen zur Siegesfeier in die russische Hauptstadt. Viele sind über 90 Jahre alt. Das große Jubiläum in fünf Jahren zum 75. werden die meisten nicht mehr erleben. Auch deshalb feiert Moskau diesmal groß. Wie zum 60. Jahrestag sind Einladungen in alle Welt verschickt worden. 2005 kamen noch viele, auch Kanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush, um den Veteranen die Ehre zu erweisen. Doch zum 70. Jahrestag ist alles anders.
Bislang nur drei Zusagen
Wegen Russlands Politik im Ukraine-Konflikt hat zuerst US-Präsident Barack Obama abgewunken. Er hat den Kremlchef und Gastgeber Wladimir Putin nicht nur immer wieder offen als "Aggressor" beschimpft. Schon vorher fanden beide keinen Draht zueinander. Im Kreml heißt es, es sei "bedauerlich", dass die Zeichen auf Konfrontation stehen. Das Verhältnis ist so schlecht wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. In der Tendenz erwartet Moskau eher noch schlimmere Zeiten.
Da empfindet es Russland schon als Lichtblick und "klugen Kompromiss", dass Kanzlerin Angela Merkel wenigstens am 10. Mai in Moskau sein will. Sie soll, so der Plan, am Grab des Unbekannten Soldaten einen Kranz niederlegen und sich vor den Opfern des Faschismus verneigen. Die Kanzlerin wolle des Endes des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Nationalsozialismus "angemessen und in Würde" gedenken, so Regierungssprecher Steffen Seibert. "Mit Blick auf das russische Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine erscheint die Teilnahme an einer Militärparade als nicht angemessen."
Zur Parade am 9. Mai haben sich bisher aus der EU lediglich drei Staats- und Regierungschefs aus Tschechien, Griechenland und Zypern angekündigt. Russland hofft noch. Doch von großen Teilen des Westens sieht sich Putin als "Kriegstreiber" an den Pranger gestellt. Sich angesichts des Krieges in der Ukraine mit dem Kremlchef auf die Tribüne am Roten Platz zu stellen und der Parade mit Panzern, Raketen und Flugzeugen zuzusehen - das empfinden viele Europäer als Schande.
Putin machte Verärgerung öffentlich Luft
Die Absagen seien eine "unangenehme Kampagne", die europäischen Politikern keine Ehre mache, meint der russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow. "Das beleidigt das Andenken der sowjetischen Soldaten und der eigenen Landsleute, die im Kampf gegen den Faschismus gefallen sind. Aber das müssen sie mit ihrem Gewissen ausmachen", sagt Tschischow.
Zwar versucht der Kreml abzuwiegeln, die Präsenz ausländischer Gäste sei nicht überzubewerten. Es gehe in erster Linie um eine Feier für die Veteranen. Ihre Zahl wird landesweit mit 2,5 Millionen angegeben.
Doch Kremlchef Putin machte seiner Verärgerung öffentlich Luft: "Wir sehen heute nicht nur Versuche, die Ereignisse des Krieges umzudeuten, zu verzerren, sondern eine zynische und völlig unverhohlene Lügerei, die dreiste Verleumdung einer ganzen Generation Menschen, die Frieden auf der Welt geschaffen haben." Der Westen wolle sich so rächen dafür, dass Russland sich die Halbinsel Krim einverleibte und auch sonst eine selbstständige Ukraine-Politik habe.
Russland als internationalen Außenseiter?
"Das Ziel ist es, die Stärke und moralische Autorität Russlands zu unterhöhlen, ihm den Status als Siegermacht abzusprechen", meint Putin. Er warnt davor, Geschichte für "geopolitische Machtspiele" zu missbrauchen - etwa, wenn die Ukraine vorschlägt, Russland den Status als Vetomacht im Weltsicherheitsrat zu entziehen. Dass Kiew neben dem 9. Mai nun noch den traditionell in der EU begangenen 8. Mai als Kriegsgedenktag einführt, kritisieren Politiker in Moskau als antirussische "Hysterie".
Auf die insgesamt 68 versendeten Einladungen zum 9. Mai gibt es bisher 26 Zusagen, wie das Außenministerium in Moskau mitteilt. Ihr Kommen bestätigt hätten unter anderem die Staatenführer aus China, Indien, Südafrika, aus Kuba und Vietnam. Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un nutzt die Gelegenheit für seine erste Auslandsreise im Amt. Doch gerade dieser umstrittene Gast wirft nach Meinung vieler einen Schatten auf das Jubiläum.
Kommentatoren bedauerten, dass die Veteranen ihr Land zu diesem großen Fest als internationalen Außenseiter erleben müssen. Die Kriegsteilnehmer damals hätten "eine Million Mal mehr getan" für das Ansehen des Landes als der Kreml heute, meint der Publizist Anton Orech. "Diese Wertschätzung hat 60 Jahre gehalten", schreibt er in seinem Blog. Orech beklagt, dass das Fest "zur Hurra-patriotischen Hysterie" verkomme. Alles in allem sind am 9. Mai in 28 russischen Städten Paraden geplant - mit knapp 80.000 Teilnehmern. (dpa)