Hattingen.. Der neue „kleine“ Rolls-Royce Ghost kostet „nur“ eine Viertelmillion Euro. Doch wie fährt der Wagen sich? Ein Test auf den Straßen des Reviers bringt das Ergebnis: Nicht alles ist bei diesem Auto besser als, zum Beispiel, bei einem Ford Focus.

„Mängel am Testwagen“ heißt eine Rubrik in jedem ernstzunehmenden Autotest. Dem kann sich auch ein Rolls-Royce nicht entziehen. Hier ist also unsere unbestechliche Defektliste: 1.) Die Emily quietschte beim Einfahren in den Kühler. 2.) Die Emily quietschte beim Ausfahren aus ihrem Versteck. Außerdem duftete es beim Einstieg nicht ausreichend nach Leder, Holz und Reichtum, aber das ist nur eine rein subjektive Bewertung.

Spürbaren Reichtum muss man nämlich schon selbst mitbringen, kostet doch der sogenannte „kleine“ (5 Meter und 40 Zentimeter lange) Rolls-Royce Ghost von der Stange bereits eine Viertelmillion Euro, und wir ersparen uns jetzt einmal die anachronistische Umrechnung in D-Mark. Wer nach dem Preis fragen muss, kann sich unsere Autos eh nicht leisten, heißt das in der angemessen arroganten Überlieferung von Rolls-Royce.

Als einst Royce auf Rolls traf

Stimmt aber gar nicht, denn der neue Klein-Rolls ist genau auf Zuwenig-Vermögende zugeschnitten, denen über 400 000 Euro für den großen Rolls-Royce Phantom zu viel des Teuren sind. Der Verkaufserfolg gibt den schnöden Marketingstrategen der Rolls-Royce-Muttergesellschaft BMW Recht. Man muss wissen: Die Reichen dieser Welt lassen sich nur sehr bedingt etwas aufquatschen. Der mächtige Daimler-Konzern scheiterte grandios mit seinem zehn Jahre währenden und milliardenteuren Versuch, mit Maybach eine Konkurrenz zu der britischen Ikone zu etablieren.

Die Emily. Sie quitschte beim Einfahren in den Kühler. Foto: Dirk Bauer, WAZ FotoPool
Die Emily. Sie quitschte beim Einfahren in den Kühler. Foto: Dirk Bauer, WAZ FotoPool © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

An dieser Stelle bietet sich ein Blick zurück in die ruhmvolle Marken-Geschichte des Originals an. Sie beginnt 1904, als der Tüftler Henry Royce zufällig auf den Millionär Charles Rolls stieß. Royce, ein Ingenieur aus Manchester, hatte Liverpool die elektrische Straßenlaterne beschert. Rolls, ein Lebemann, dehnte zu diesem Zeitpunkt gerade die Liebe zur Fliegerei auf das Automobil aus. Man tat sich zusammen, und zwei Jahre später erblickte der erste Rolls das Licht der Welt.

Das legendäre Modell Silver Ghost lieferte für einen Kaufpreis von damals unglaublichen 980 Pfund – dafür musste ein einfacher Arbeit vielleicht sein ganzes Leben lang arbeiten – ein fahrfertiges Chassis. Die Karosserie ließ man sich wie damals üblich extra anfertigen. Nach Royce’ Maxime „Nimm das Beste, das existiert und mach es besser. Wenn es nicht vorhanden ist, konstruiere es“, geriet der „Silberne Geist“ zum besten Auto der Welt. Ohne seinen Ghost hätte Lawrence von Arabien kaum im ersten Weltkrieg seinen Wüstenfeldzug gewonnen. „Ein Rolls-Royce in der Wüste ist mehr wert als Rubine,“ schrieb er. Oder um es noch einmal mit Royce zu sagen: Die Qualität besteht weiter, wenn der Preis längst vergessen ist.

Über 6000 betuchte Liebhaber fanden sich für den Silver Ghost, darunter ein gewisser John Montague, der etwas Wesentliches beizusteuern wusste. Seine nicht unansehnliche Sekretärin Eleanor Thornton stand Modell für die Figur „Spirit of Ecstacy“, den Geist der Ekstase. Die „Emily“ schwebt seit 1911 über dem R-R-Logo auf dem Kühlergrill in der klassischen wuchtigen Tempelform.

Eine Karosserie aus Gold oder mit Ski

Den Silbernen gab es auf Wunsch größenwahnsinniger indischer Maharadschas auch schon mal mit einer Karosserie aus purem Gold. Zar Nikolaus II. wurde im Rolls kutschiert, auch Henry Ford zog ihn oft dem T-Modell vor. Wladimir Iljitsch Lenin bestellte gleich vier Exemplare – darunter eins mit Skiern statt Vorderrädern für den russischen Winter.

Heute hört man nicht mal mehr die Uhr im Rolls-Royce ticken. Foto: Dirk Bauer, WAZ FotoPool
Heute hört man nicht mal mehr die Uhr im Rolls-Royce ticken. Foto: Dirk Bauer, WAZ FotoPool © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Später kamen die Queen, Madonna, Elton John, Fürst Rainier von Monaco, Elvis Presley als überzeugte „Rollie“-Fahrer hinzu. John Lennon schockierte das „Swinging London“ der Sechziger mit einem Rolls in psychedelischen Farben, und heute stürmt „die“ Marke dank der Neureichen in Asien einen Produktionsrekord nach dem anderen. Dabei will man immer ein Auto weniger bauen,als nachgefragt wird, um die Exklusivität zu wahren. Geschweige denn einmal in die missliche Lage zu kommen, Rabatte geben zu müssen.

Zweifellos ist ein Rolls mit seiner ausladenden und undemokratischen Barockform im Stile des Buckingham-Palastes eine einzigartige Erscheinung; ja: Und der Schirm steckt in einem beheizten Türfach. Die technisch besten Autos der Welt tragen allerdings schon seit einem halben Jahrhundert eher einen Stern auf dem Grill als eine Emily.

Seit dem kompletten Neuaufbau nach der Übernahme durch BMW 2003 hat ein Rolls aber wenigstens keine peinlichen Lücken mehr zur Weltspitze wie ein Aston Martin. Aber die Armada der modernen elektronischen Assistenzsysteme, etwa ein radargestützter Abstandshalter, arbeitet in einem Ford Focus genauso gut, und das Navigationssystem im billigsten Dacia ist auch kein Deut ungenauer.

Mit 250 km/h über die Autobahn

Schlicht mit „Ausreichend“ gaben die Engländer früher die Motorleistung an und hielten sich auch mit Kriterien wie Höchstgeschwindigkeit und Verbrauch nicht weiter auf. Heute arbeitet ein 6,6 Liter großer Zwölfzylinder von BMW mit 570 Turbo-PS unter der langen Haube und schiebt den Ghost mit 250 km/h über die Autobahn. Schnell zu sein wie andere wird dabei mit einer teils ungebührlichen Härte des Fahrwerks erkauft.

Früher sollte das Ticken der Uhr den Motor im Rolls übertönen. Heute tickt die Uhr gar nicht mehr.

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