Bochum. Wie viel zu viel ist so viel, das es reicht seinen Neuwagen dem Händler wieder auf den Hof zu stellen? Zehn Prozent mehr als die Angabe nach EU-Norm, entschied das Landgericht Bochum angesichts eines Renault Scenic. Damit ließen sich alle Neuwagen zurückgeben, übrigens schön verzinst.
Das Landgericht Bochum hat einem Herner Renault-Besitzer Recht gegeben, der seinen 2009 neu gekauften Minivan Scénic wegen zu hohen Verbrauchs zurückgeben wollte. Der Kläger erhält den Kaufpreis von seinem Bochumer Autohaus, verzinst mit über fünf Prozent seit Klageerhebung, zurück.
Laut Prospekt sollte der kombinierte Verbrauch nach EU-Richtlinie 7,7 Liter betragen. Der 140 PS starke Benzinmotor mit stufenlosem CVT-Getriebe verbrauchte jedoch 11,7 bis 14 Prozent mehr, ohne dass die Werkstatt bei Nachbesserungsversuchen einen Grund dafür fand. Zwei Gutachten bestätigten den Mehrverbrauch.
Das Landgericht Bochum schloss sich in seiner Urteilsbegründung verschiedenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes an, so zur gültigen EU-Verbrauchsmessungs-Richtlinie 93/116/EG. Demnach rechtfertigt ein Mehrverbrauch von über zehn Prozent einen erheblichen Sachmangel und das Zurücktreten vom Kaufvertrag.
EU-Norm ist reif zum Abwracken
Damit ist die EU-Norm zur Festlegung des Kraftstoffbedarfs unserer Autos endgültig reif zum Abwracken, wenn immer mehr Richter – wie die am Landgericht Bochum – sie ernst nehmen. Dann verwandelt sich die realitätsfremde Normverbrauchsangabe in den Freibrief, einen Neuwagen zu erwerben und ihn nach geraumer Zeit mit dem Hinweis auf den völlig am Papierwert vorbeigehenden Verbrauch zurückzugeben, hoch verzinst womöglich noch. Da tickt der Zünder einer kleinen Benzinbombe für den Autohandel.
Schuld daran sind zwei Dinge. Erstens ist die Norm ein Witz. Sie simuliert auf dem Prüfstand eine Schleichfahrt, die mit dem realen Fahren auf der Straße so viel zu tun hat wie ein Spritspartraining mit einem Formel-Eins-Rennen. Zum zweiten die Hersteller: Im Ringen um jedes Gramm Kohlendioxid, das nach Norm pro Kilometer ausgestoßen wird und ständig sinken soll, sind sie durch alle Schlupflöcher gekrochen, die die EU-Bürokraten ihnen offen gelassen haben.
Hybridfahrzeuge und Batterieautos weisen hohe Abweichungen auf
Das geht so weit, dass bei an der Steckdose aufladbaren Hybridautos mit zusätzlichem Elektromotor der verbrauchte Strom überhaupt nicht mitgerechnet wird für den Norm-„Verbrauch“. Besonders hohe Abweichungen zur Normangabe weisen daneben die auf dem Papier besonders sparsamen Hybridfahrzeuge und die neuen Batterieautos auf. 50 Prozent mehr sind hier eher üblich als die Ausnahme.
Die EU-Norm löste einst den guten alten Drittelmix ab und war damals ein großer Fortschritt gegenüber der Verbrauchsermittlung im Stadtverkehr, bei konstant 90 und konstant 120 km/h, die absurde Ergebnisse erbrachte. Bei einem sparsam gefahrenen Diesel war der neue EU-Normwert sogar realisierbar. Längst ist eine Reform der EU-Verbrauchsermittlung überfällig. Sie müsste zu wesentlich höheren Verbrauchs- und CO2-Angaben führen, und dagegen werden die Lobbyisten-Heere der Autoindustrie Sturm laufen. Es könnte sie Milliarden kosten.