Essen. . Autofahrer sollten genau hinschauen, wenn sie als vermeintlicher Raser ins Visier einer Radarfalle geraten sind. Ein Gutachter hat Tausende Bußgeld-Akten untersucht. Das Ergebnis: In mehr als 25 Prozent der Fälle wurden Fehler gemacht.

Als er den Bußgeldbescheid in seinem Briefkasten fand, war Rainer Hillgärtner völlig überrascht. Angeblich war er auf der Autobahn zu schnell gefahren und sollte dafür Punkte in Flensburg kassieren. Doch auf dem Radarfallen-Foto saß ein fremder, bartloser Mann am Steuer eines fremden Autos. Hillgärtner trägt einen Vollbart, und er ist absolut sicher: Zu diesem Zeitpunkt war er auf gar keinen Fall auf dieser Autobahn unterwegs. Mit einem Anruf bei der Behörde konnte er die Sache schnell klären: Der zuständige Beamte hatte einfach das Kennzeichen verwechselt. „Sicher hat mir dabei auch mein Posten geholfen“, sagt Hillgärtner. Er ist Pressesprecher beim Auto Club Europa (ACE). „Als Bürger ohne Sachkenntnisse hätte ich vermutlich vor Gericht ziehen müssen, um Recht zu bekommen.“

Gutachter Hans-Peter Grün hat 8.859 solcher Bußgeld-Akten aus den vergangenen viereinhalb Jahren untersucht, bei denen vermeintliche Raser Einspruch eingelegt hatten. Was der Mann von der Sachverständigengesellschaft VUT dabei herausfand, wertet er als „Alarm-Signal“. Die Fehlerquote bei Geschwindigkeitsmessungen sei definitiv zu hoch, resümiert Grün. „Die Behörden müssen hier dringend nachbessern.“ Bei mehr als 25 Prozent der Fälle entdeckte der Experte Fehler, vor allem bei der Beweisführung. Häufig sei die Akte so lückenhaft, dass der Vorfall sich nur schwer rekonstruieren lasse. „Die Sachbearbeiter müssten sorgfältiger arbeiten“, mahnt Grün.

Verwechslungsgefahr bei zwei Autos auf dem Blitzer-Foto

Auch Verkehrsanwälte in NRW bekommen immer wieder Fälle von Fehlmessungen bei Geschwindigkeitskontrollen auf den Tisch. Nicht immer sind die Fehler so eindeutig erkennbar wie bei Rainer Hillgärtner. „Vorsicht ist etwa geboten, wenn sich auf dem Blitzer-Bild noch ein weiteres Fahrzeug befindet“, rät Christian Demuth, Anwalt für Verkehrsrecht in Düsseldorf. „Hierbei kommt es immer wieder zu Verwechslungen.“ Auch müsse die Exaktheit der Messung gewährleistet sein, etwa durch die korrekte Eichung der Radarfalle. In einem Fall des Anwalts war die Messung fehlerhaft, weil sich zwischen den Sensoren auf dem Fahrstreifen Spurrillen gebildet hatten.

Der Essener Verkehrsanwalt Theo Engel nennt mehrere Verfahren, bei denen Blitzer hinter einer Ampel falsch gemessen hatten. Auch menschliches Versagen begegnet ihm immer wieder. „Polizeibeamte in Essen hatten eine Zeit lang Probleme mit der Bedienung von Laserpistolen. Das Amtsgericht kassierte deshalb gleich mehrere Bußgeldbescheide“, sagt Engel. „Ich will nicht wissen, wie viele Menschen zu Unrecht ihren Führerschein abgeben mussten.“ Ein anderer Autofahrer wurde beschuldigt, in einer Tempo-30-Zone 21 Kilometer zu schnell gefahren zu sein. „Doch die Ortsbesichtigung zeigte, dass der zuständige Polizist meinen Mandanten ein Stück vor Beginn der Tempo-30-Zone geblitzt hatte.“

„Die Beweislast liegt beim Autofahrer“

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Skepsis sei auch angebracht, wenn das Fahrzeug auf dem Messfoto in einer schiefen Position erfasst oder Fahrer und Wagen nicht richtig erkennbar seien, sagt Demuth. Viele Fehler sind laut Gutachter Grün für den Laien jedoch schwer erkennbar. In jedem Fall gilt aber: Wer Zweifel an einem Bußgeldbescheid hat, muss selbst einschreiten und sich in der Regel auf ein Verfahren gefasst machen. „Die Beweislast liegt beim Autofahrer“, so Demuth.

Der ADAC NRW rät jedoch dazu, sich Hilfe von einem Fachanwalt zu holen. Zwar könne man auch selbst Akteneinsicht in der Behörde verlangen. „Doch in den meisten Fällen ist technisches Hintergrundwissen erforderlich, um die Messung nachvollziehen zu können“, erklärt Rechtsexpertin Elke Hübner. Allerdings sei ein Einspruch nur bei schwerwiegenderen Verstößen ratsam, wenn etwa Punkte oder gar der Führerscheinentzug drohen. Denn der Betroffene muss nicht nur den Anwalt, sondern in der Regel auch einen Gutachter bezahlen. „Bei einem Einspruch muss man mit Tausend Euro Kosten rechnen“, warnt Hübner.

„Gute Chancen vor Gericht“

Die Erfolgs-Chancen für den Fahrer seien jedoch hoch, sagt Verkehrsanwalt Demuth. „Sobald auch nur ein kleiner Fehler oder eine Lücke in der Beweisführung auftaucht, wird das Bußgeldverfahren eingestellt.“ Denn der Beschuldigte habe einen rechtsstaatlichen Anspruch auf ein transparentes Messverfahren.

Dennoch mahnt Rainer Hillgärtner vom ACE die Autofahrer zur Einsicht: "Nicht alle Geschwindigkeitskontrollen sind von Übel, sondern aus Gründen der Verkehrssicherheit unbedingt notwendig." Die Blitzer stünden auch nicht „an jeder Ecke“, wie viele annehmen würden. 3722 stationäre Blitzer listet das Internetportal www.Radarfalle.de zurzeit in Deutschland auf, davon 933 in NRW. In Deutschland würden weniger als drei Prozent des Straßennetzes überwacht, sagt Hillgärtner. Dass hin und wieder mal ein Fehler passiere, sei völlig normal.