„Es müssen jetzt gut zwanzig Jahre her sein, da gab mein alter Golf den Geist auf. Ein neues Auto war fällig, und ein lieber Kollege begleitete mich zum Autohaus. Sofort fiel mir ein kleiner weißer Polo auf – er war so schön. Nach einem gründlichen Blick unter die Motorhaube und harten Preisverhandlungen mit dem Verkäufer war auch der Kollege mit meiner Wahl einverstanden.

Der weiße Polo überlebte seine Reparatur in der Werkstatt nicht.
Der weiße Polo überlebte seine Reparatur in der Werkstatt nicht.

Ich war sehr zufrieden mit meinem ersten Neuwagen, zumindest in den ersten Tagen. Doch dann kam die erste Autobahnfahrt. Ich wollte einen LKW überholen. Also Blinker setzen, Schulterblick, die linke Spur war frei, ich konnte vorbei. Tatsächlich? Nein, denn der Polo wurde nicht schneller. Dafür beschleunigte aber der LKW-Fahrer, der grinsend von oben auf den kleinen weißen Polo und seine verzweifelte Fahrerin herabsah. Es blieb mir nichts anderes übrig – ich musste wieder hinter dem LKW einscheren. Weitere Überholversuche verliefen ähnlich, auch eine Überprüfung durch die Werkstatt brachte keine Besserung. Da hatte ich wohl doch die falsche Entscheidung getroffen und musste damit nun erst einmal leben. Denn noch ein neues Auto konnte ich mir natürlich nicht leisten.

Ich war sehr enttäuscht. Aber dann passierte Folgendes:

An einem Freitagabend um 23.00 Uhr warteten wir an einer Ampel in Sterkrade auf das Grün. Da spürte ich plötzlich einen ganz leichten Ruck. Ein ganz kleiner Fiat Bambino war auf meinen Polo aufgefahren. Zum Glück war die junge Fahrerin nicht verletzt, und nachdem ich sie beruhigt hatte, sahen wir uns den Schaden an. Mein Polo wies einen Kratzer auf der Stoßstange auf, desgleichen der Fiat Bambino. Wir tauschten Adressen aus, ich erhielt die Versicherungs-Nummer der jungen Dame, damit war das erst einmal erledigt.

Am Montag bekam ich einen Anruf von der Polizei. „Sind Sie die Halterin eines weißen Polo mit dem Kennzeichen.......?“ Ich nahm zunächst an, dass es um den Miniunfall mit dem Fiat ging, aber nein. Ein Kombi habe mein Fahrzeug am Samstag auf dem Parkplatz des Einkaufscenters beschädigt, der Fahrer sei weggefahren, aber eine Zeugin habe das Kennzeichen notiert. Ob mein Wagen beschädigt sei? Das prüfte ich, zusammen mit einem Nachbarn und tatsächlich, auf der Fahrerseite war eine recht große Delle, die ich noch gar nicht gesehen hatte.

Nun, da lohnte sich ja ein Besuch in der Werkstatt, zumal auch die erste Inspektion fällig war. Am Freitag sollte ich den Polo vollständig wiederhergestellt zurück bekommen, man würde mich gegen Mittag anrufen.

Aber – es kam kein Anruf der Werkstatt, stattdessen rief ich nachmittags dort an. Was war los? ,Der Wagen ist fertig’, sagte der Werkstattleiter. ,Wir haben ihn sogar gewaschen. Dann hat unser Azubi ihn aus der Halle gefahren. Die Hecktür war aber noch geöffnet. Und so hat unser Azubi den Passat nicht gesehen, der von rechts kam...’ Und der Passat hatte meinen Polo so gut getroffen, dass fast nichts mehr davon übrig blieb. Zum Glück war dem Azubi nichts passiert.

Ich habe die Trümmer besichtigt und dann entschieden, dass nun wohl doch ein anderer Wagen fällig sei – natürlich kein neuer, denn den konnte ich mir trotz der Entschädigung der Werkstatt wohl nicht mehr leisten. Aber ich hatte nicht mit meinem hilfsbereiten Kollegen gerechnet. Ob ich auch einen Vorführwagen nehmen würde, zwar mit etlichen Kilometern auf dem Tacho, Farbe und Aussehen egal, aber auf jeden Fall preiswert und fahrtüchtig? Damit war ich einverstanden, und der Kollege verhandelte dann mit dem Autohaus. Nach einer Woche teilte er mir mit, es gäbe ein Fahrzeug, einen Golf, wir würden uns nach Feierabend den Wagen ansehen.

Ich war schon sehr gespannt. Auf dem Hof stand ein roter Golf. Er war so schön, und ich hoffte, das dies mein neues Auto sei. Aber nein, das hatte ja schon amtliche Kennzeichen und gehörte wohl einem der Mitarbeiter des Autohauses. Wie schade.

Wir gingen hinein und ich war doch sehr überrascht, als mich der Verkäufer fragte, wie mir denn mein neues Auto gefiele. Er deutete dabei auf den schönen roten Golf. Es war tatsächlich meiner, ich konnte es kaum fassen.

Meinen roten Golf habe ich achtzehn Jahre lang gefahren. Nie hatte ich einen Unfall mit ihm. Ich habe Fahrräder, Küchenschränke, mehr oder minder unwillige Katzen und anderes mehr damit transportiert. Gut, die eine oder andere Delle kam dann schon. Auch das schöne Rot verblasste mit der Zeit zu einem etwas merkwürdigen Rosa. Auch wurde der Wagen, damals schon siebzehn Jahre alt, aufgebrochen, und der Rückspiegel wurde herausgerissen. Dennoch – es war ein zuverlässiges und – in meinen Augen - auch schönes Fahrzeug.

Aber nach achtzehn Jahren guter Freundschaft kam die Abwrackprämie. Und da konnte ich nicht widerstehen, zumal mein Golf im letzten kalten Winter doch ein paar Mal stehen geblieben war. Auch die Heizung funktionierte nicht mehr richtig, so schien es einfach vernünftiger, ein neues Auto zu kaufen. Ich entschied mich für einen blauen Ford Ka.

Die letzte große Fahrt des roten Golf ging nach Flensburg. Meine Freundin Ilona zog dorthin um. Der Wagen war voll bis unters Dach mit einem Teil des Hausstandes, einem Kater im Transportkorb, meiner Freundin Ilona und mir. Die Fahrt verlief gut bis kurz hinter Hamburg. Da revoltierte der bis dahin geduldige Kater, Ilona und ich hatten auch nicht mehr wirklich Lust auf die letzten 170 km bis Flensburg und der Golf begann plötzlich zu stottern. Aber dann fing er sich wieder, und wir kamen ohne weitere Probleme am Ziel an.

Vier Monate durfte ich mein rotes Auto danach noch fahren, es gab nämlich Lieferprobleme mit dem Ford. Und es wurde mir immer schwerer, meinen guten alten Golf aufzugeben und verschrotten zu lassen. Aber der Tag des Abschieds kam schließlich doch.

Ich stellte den Golf beim Händler ab, stieg aus, streichelte noch einmal über die Motorhaube und lief dann, Tränen in den Augen, um die gesamte Halle herum, dorthin, wo das neue Auto stehen sollte. Und dann sah ich ihn – meinen neuen blauen Ford Ka. Er war so schön. Und ich fahre ihn sehr gerne, bin inzwischen auch schon wieder mit ihm nach Flensburg gefahren.

Aber immer, wenn ich einen von den alten roten Golfs in unserer Stadt oder auf der Autobahn sehe, denke ich wehmütig an mein altes ,Schätzchen’ und die achtzehn unfallfreien Jahre. Ob mein Ka wohl auch so lange hält?“