Krasnaja Poljana. Das Silber widmete Erik Lesser seinen Opas. Trainer Mark Kirchner wollte ihn nach seinem Coup in den Bergen von Sotschi gar nicht mehr loslassen. “Da hatte ich feuchte Augen“, gab der 25 Jahre alte Thüringer Biathlet zu.
Als die Frühlingssonne untergegangen und nur der Franzose Martin Fourcade im Ziel des 20-Kilometer-Einzelrennens 12,2 Sekunden schneller war, schien die Welt der deutschen Skijäger wieder in Ordnung. "Das war unheimlich wichtig für die ganze Mannschaft. Jetzt ist der Druck weg", befand Thomas Pfüller, Sportdirektor der Deutschen Skiverbandes (DSV).
Der neue Biathlon-Held war froh, dass auch der stets so konzentriert und beherrscht auftretende Bundestrainer Tränen der Freude in den Augen hatte: "Das finde ich prima. Irgendwann musste es ja auch bei ihm Mal sein", sagte er. Fast mehr als über die eigenen großen Erfolge freute sich Kirchner nun über das Edelmetall seines Schützlings. So emotional losgelöst hat man den dreimaligen Olympiasieger noch nie erlebt. "Da ist auch ein bischen Genugtuung dabei, dass vielleicht ein paar Dinge mal realistisch gesehen werden. Im Biathlon liegen nun mal Sieg und Niederlage ganz nah beieinander", stellte Kirchner zufrieden fest.
Da sich Trainer und Athlet so gut verstehen, spielten sie nach dem Biathlon-Krimi in der durch den nassen Schnee schweren Loipe im Gespräch Doppel-Pass. "Wir müssen das echt verbieten, diese Medaillenspiegel aufzustellen. Wir haben die Silbermedaille gewonnen, und nicht irgendwelche anderen, die denken, sie müssen Medaillen zählen", kritisierte auch Lesser die öffentliche Wahrnehmung.
Es ist schon ein besonderes Gespann, dass den deutschen Skijägern nach turbulenten Tagen erst einmal Ruhe verschafft hat. 24 Stunden vor dem Damen-Einzel war die Erleichterung unter dem Flutlicht im Laura-Stadion spürbar. Die Skijäger standen nach den ersten vier medaillenlosen Rennen schon massiv in Kritik.
"Mark und ich sind nicht die Männer der großen Worte. Wenn man zusammen am Tisch sitzt, geht das auch mal mit fünf Worten", beschrieb Lesser das Verhältnis zu seinem Coach. Bei der innigen Umarmung vor der Flowers-Zermonie reichten den beiden vier Worte: "Herzlichen Glückwunsch, Danke und noch irgendwas", verriet Lesser. Als er zur Pressekonferenz kam, hatte er das Handy am Ohr. "Das war meine Freundin. Eigentlich wollte ich schon vorher anrufen, aber ich hatte keine Zeit dazu."
Als Lesser den 20. und letzten Schuss traf, huschte über sein Gesicht ein Lächeln. Kirchner ballte am Schießstand erleichtert die Fäuste. "Jetzt muss Erik marschieren, jetzt muss er alles geben", mahnte er über den Streckenfunk Unterstützung an.
Und Lesser gab alles. An die Zeit des vor ihm gestarteten Fourcades, der nach seinem Sieg in der Verfolgung nun Doppel-Olympiasieger ist, kam Lesser nicht mehr heran. Mit 9,6 Sekunden Vorsprung war der Thüringer auf die letzte Runde gegangen, am Ende fehlten ihm nicht viel für das vierte deutsche Biathlon-Gold über die 20 Kilometer. Es war die 60. Medaille für die deutschen Biathleten überhaupt. Dritter in dem Klassiker wurde an seinem 26. Geburtstag der Russe Jewgeni Garanitschew, der 34,5 Sekunden hinter Fourcade lag.
22 Jahre nachdem der dreimalige Olympiasieger Kirchner in Albertville seine Silbermedaille im Einzel gewann, machte es ihm sein Schützling nach. Lesser übertraf mit Olympia-Silber seinen Großvater Axel, der 1970 bei der nordischen Ski-WM mit der DDR-Staffel Silber holte. "Mein Opa ist mein Held. Sicherlich wird er sich zu Hause wie ein Schnitzel freuen", meinte er und widmete das Silber aber auch seinem 93 Jahre alten anderen Großvater: "Er hat versprochen, dass er durchhält, bis ich meine erste Olympia-Teilnahme geschafft habe. Jetzt habe ich ihm das Durchalten versilbert."
Dass mit den deutschen Herren wieder zu rechnen ist, zeigte das gute Teamergebnis. Mit jeweils einer Strafminute wurden Daniel Böhm starker Zehnter und Simon Schempp 16. Andreas Birnbacher schoss zweimal daneben und landete bei seinem ersten Rennen in Sotschi auf dem 22 Rang.
"Alle vier haben ein richtig gutes Rennen gemacht", sagte Kirchner und lobte einmal mehr den guten Teamgeist. Sein Kollege Fritz Fischer, gemeinsam mit Kirchner 1992 Staffel- Olympiasieger, befand: "Viermal Null und das in einem olympischen Rennen - ein Riesenkompliment an Erik. Wir wissen, was die Burschen können." In Lesser, Schempp und Peiffer sind im Massenstart gleich drei Deutsche dabei. Auch in den Staffeln scheint jetzt alles möglich.