Moskau. Weiterer Putin-Gegner als Krimineller hinter Gittern: Ein russisches Gericht hat den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wegen Veruntreuung zu fünf Jahren Straflager verurteilt.

Noch im Gerichtssaal der Stadt Kirow führten Uniformierte den Gegner von Kremlchef Wladimir Putin am Donnerstag in Handschellen ab. Das Urteil stieß international auf Kritik. Russlandweit versammelten sich Tausende Anhänger des Bloggers spontan zu Protesten. Am Abend kündigte die Generalstaatsanwaltschaft im Fall Nawalny überraschend eine Haftbeschwerde an.

Der 37-jährige Nawalny kam nach dem Urteil in Untersuchungshaft, weil der Richterspruch noch nicht rechtskräftig ist. Der Mann, der sich als Korruptionsbekämpfer einen Namen gemacht hat, soll als Berater eine staatliche Holzfirma betrogen haben. Der Anwalt will das Urteil anfechten. Die Generalstaatsanwaltschaft begründete ihre unerwartete Haftbeschwerde damit, dass der Richter keinen Grund für die Inhaftierung gehabt habe. Beobachter sprachen von einer beispiellosen Wende in dem umstrittenen Fall. An diesem Freitag soll das übergeordnete Gebietsgericht in Kirow - rund 900 Kilometer nordöstlich von Moskau - über die Haftbeschwerde entscheiden.

Menschenrechtler und Vertreter der Bundesregierung sprachen im Fall Nawalny von einem Schauprozess und einem neuen Beispiel für politische Willkürjustiz in Russland. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zeigte sich «besorgt». Auch die USA und Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierten die Verurteilung.

«Es drängen sich Zweifel auf, ob bei diesem Prozess strafrechtliche Motive im Vordergrund gestanden haben», hieß es in einer Mitteilung des Bundespresseamts im Namen von Merkel. «Fünf Jahre Haft erscheinen selbst vor dem Hintergrund des ihm zur Last gelegten Verbrechens unverhältnismäßig hoch.» US-Botschafter Michael McFaul schrieb bei Twitter, sein Land sei «tief enttäuscht».

Allein in Moskau war die Rede von mehr als 20 000 Anhängern, die gegen Nawalnys Verurteilung und Inhaftierung auf die Straße gingen. Dutzende Teilnehmer der nicht genehmigten Kundgebung wurden am Donnerstag festgenommen. «Danke für alles! Das ist ein wirklich verrücktes Gefühl, wenn Du merkst, dass Du nicht allein bist», schrieb Nawalnys Ehefrau Julia bei Twitter. Noch nie waren für einen Einzelnen in Russland so viele Demonstranten spontan auf die Straße gegangen.

Sollte Nawalny freikommen, wird er nach Darstellung seines Stabs in Moskau doch als Kandidat an der Bürgermeisterwahl am 8. September in der Hauptstadt Moskau teilnehmen.

Richter Sergej Blinow sah in Kirow die Vorwürfe gegen Nawalny nach dem dreimonatigen Prozess als erwiesen an. Der Familienvater soll 2009 als Berater des örtlichen Gouverneurs eine staatliche Holzfirma um umgerechnet rund 400 000 Euro geprellt haben. Nawalny habe dafür gesorgt, dass 10 000 Kubikmeter Holz weit unter Wert verkauft wurden. Blinow sprach von einem «Verbrechen». Beobachter kritisierten viele Verfahrensmängel in dem Prozess «ohne einen einzigen Beweis».

Der Regierungsgegner weist die Vorwürfe als politische Inszenierung des Kreml zurück. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre Arbeitslager für Nawalny gefordert, um die Gesellschaft vor ihm zu schützen. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch.

In Moskau nahmen Tausende Menschen an einer «Volkswanderung» für Nawalny teil. Auch in St. Petersburg und anderen Großstädten protestierten Hunderte spontan gegen das Urteil. Dabei kam es zu zahlreichen Festnahmen, wie das regierungskritische Internetportal kasparov.ru berichtete.

Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow sagte, das Urteil beweise, dass es in Russland keine unabhängige Justiz gebe. Die prominente russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina sprach von einem «furchtbaren» Urteil, das sich negativ auf das Ansehen des Landes auswirken werde. Der Menschenrechtsrat des Kreml kündigte eine unabhängige Untersuchung des Falls an.

Der inhaftierte Putin-Kritiker Michail Chodorkowski nannte das Urteil «vorhersehbar und unvermeidlich». Der frühere Finanzminister Alexej Kudrin twitterte, dass der Schuldspruch weniger eine Strafe sei als das Ziel verfolge, den Kremlgegner von Wahlen und vom gesellschaftlichen Leben zu isolieren.

Richter Blinow verurteilte auch Nawalnys Geschäftspartner Pjotr Ofizerow zu vier Jahren Straflager. Zudem erhielten beide eine Geldstrafe von umgerechnet je 12 500 Euro.