Düsseldorf. .

Wenn der Düsseldorfer Rechtsanwalt Julius Reiter über die Loveparade und ihre Verantwortlichen spricht, dann bemüht er gerne die drei Affen aus dem japanischen Sprichwort: nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen! Da sei die Stadt Duisburg gewesen, die nicht sehen wollte, dass das Sicherheitskonzept nicht funktionieren kann. Der Veranstalter Lopavent, der nicht hören mochte, als ihm die Stadt Auflagen machte und nicht zuletzt die Polizei, die nicht die Stimme erhob, um die Katastrophe zu vermeiden.

Was sich damals abspielte in den Wochen und Monaten vor der Loveparade und am Unglückstag selbst, dem 24. Juli 2010, davon wird die Duisburger Staatsanwaltschaft inzwischen ein sehr konkretes Bild haben. Sie wird wissen, wie es zum Tod von 21 Menschen kam, wie 500 junge Leute zum Teil schwerst verletzt wurden. Das Team, das aus vier, seit einigen Wochen aus fünf Staatsanwälten besteht, hat 3500 Zeugen verhört, 1000 Stunden Videos angesehen, 404 Terrabyte Daten verarbeitet.

Anfangsverdacht auffahrlässige Tötung

All die Monate drangen immer wieder Fakten an die Öffentlichkeit. Über die fehlende Lautsprecheranlage, über zu wenige Ordner und Pusher, über die zum unglücklichen Zeitpunkt schichtwechselnden Polizisten. Man hörte von den Mitarbeitern des Bauamtes, die es vermieden haben sollen, am Tag der Loveparade selbst vor Ort zu sein, weil ihnen die Verstöße gegen die Bauordnung dann ja hätten auffallen müssen. Man erfuhr von ihren Kollegen aus dem Ordnungsamt, die dort waren, aber nicht moniert haben sollen, dass der Veranstalter für die Sicherheit wichtige Auflagen nicht einhielt.

Eine Liste, die sich weiterführen ließe. 16 Beschuldigte, beginnend bei den beiden Dezernenten für Bauordnung und Sicherheit, Jürgen Dressler und Wolfgang Rabe, ihren Amtsleitern und Sachbearbeitern, über die Lopavent-Angestellten bis hin zu einem Leitenden Polizeidirektor. Gegen sie besteht seit knapp drei Jahren ein Anfangsverdacht auf fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung. Ob es für eine Anklage reicht, entscheiden zuerst die Staatsanwälte, dann das zuständige Gericht.

Einer, der überzeugt ist, dass es zur Anklage kommen wird, ist der Düsseldorfer Rechtsanwalt Julius Reiter, Sozius des früheren Bundesinnenministers Gerhard Baum. Ihre Kanzlei vertritt die Interessen von über 100 Opfern und Angehörigen. „Man kann nicht wie beim Düsseldorfer Flughafen-Brand von einer unglücklichen Aneinanderreihung von Kausalitäten sprechen. Das war bewusstes Versagen oder besser organisierte Verantwortungslosigkeit. Das hat nichts mehr mit Fahrlässigkeit zu tun“, sagt Reiter, der als Vertreter der Opfer längst Akteneinsicht hatte.

Auch das Gutachten des britischen Panikforschers Professor Keith Still im Auftrag der Duisburger Staatsanwaltschaft sei „in seiner Aussage so kräftig, dass ich fest von einer Anklage ausgehe“. Still komme zum Schluss, dass das Sicherheitskonzept durch das simple Addieren der Zahlen von ankommenden und weggehenden Ravern hätte überprüft werden können.

„Bei der Menge von Menschen einerseits und der Enge der Rampe, die zu den Loveparade-Floats führte, hätte die Katastrophe mit diesem Sicherheitskonzept gar nicht vermieden werden können. Es ist von Glück zu sprechen, dass es nicht noch mehr Tote gegeben hat“, sagt der Anwalt. All dies hätte laut Gutachten schon bei der Planung erkannt werden müssen, spätestens jedoch in den ersten Stunden der Veranstaltung.

Ein tödliches Desaster. „Wir sind uns bewusst, dass die Opfer und Hinterbliebenen sehr genau darauf schauen, wie wir unsere Ermittlungen abschließen“, sagt Oberstaatsanwalt Michael Schwarz. Das Loveparade-Verfahren sei ein besonderes, wegen der Komplexität der Ermittlungen, aber auch durch „die internationale Blickschärfung“. Schließlich stammen einige Opfer aus dem Ausland.

Der Oberstaatsanwalt bestätigt, dass das Still-Gutachten ein wichtiger Baustein der Ermittlungen ist. Deren Ende naht inzwischen. Ein Großteil der 16 Beschuldigten hat sich inzwischen zu den Vorwürfen eingelassen. Einer soll sich sogar persönlich gegenüber der Staatsanwaltschaft geäußert haben.

Der inzwischen abgewählte OB Adolf Sauerland (CDU) gehört am Ende so wenig zu den Beschuldigten wie Lopavent-Chef Rainer Schaller. Letzteres erscheint dem Anwalt Julius Reiter kaum plausibel: „Gerade durch das Still-Gutachten sehe ich ihn nicht entlastet. Es stellen sich vielmehr Fragen, inwieweit sich zum Beispiel sein Spardiktat im Vorfeld auf die Sicherheit der Veranstaltung ausgewirkt hat oder welche Rolle seine Anwälte im Rahmen des Genehmigungsverfahren gespielt haben.“

Wer Opfer der Loveparade kennt, wer mit ihren Angehörigen gesprochen hat, weiß, sie haben erst dann eine Chance, mit dem Geschehenen abzuschließen, wenn die Ursachen der Katastrophe penibel aufgearbeitet wurden. Wenn verantwortlich gemacht wird, wer seine Aufgabe nicht erfüllte, seiner Sorgfaltspflicht nicht gerecht wurde, der wegsah, in Kauf nahm, der wider besseren Wissens nicht Einwand erhob. Ganz gleich, in welcher Funktion.