Kassel. Die weltberühmten Märchen der Brüder Grimm haben ihren Ursprung in Kassel. Viele von ihnen wurden den Brüdern von Dorothea Viehmann erzählt. Die Hugenottin brachte sie aus ihrer französischen Heimat mit oder hörte sie von durchreisenden Kaufleuten, die die Wirtsstube ihres Vaters besuchten. In diesem Jahr feiert Kassel den 200. Geburtstag der Märchen.

Dorothea Viehmann wusste eine Menge Geschichten zu erzählen - Märchen, Sagen und Schwänke. In der Kasseler Wirtsstube ihres Vaters hat sie sie von durchreisenden Kaufleuten gehört, andere brachte die Hugenottin aus ihrer französischen Heimat mit. "Die alte Frau Viehmann bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis und sagte selbst, dass diese Gabe nicht jedem verliehen sei. Dabei erzählte sie bedächtig, sicher und ungemein lebendig,...", notierten die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm vor 200 Jahren.

Aus den Erzählungen von Viehmann und aus zahlreichen anderen Quellen - viele davon in Nordhessen - trugen die Brüder Grimm ein Konvolut von Schriften zusammen, das sie als Sammler der Kinder- und Hausmärchen weltbekannt machte. "Die Resonanz der Brüder Grimm schallt bis China", sagt der Grimm-Beauftragte des hessischen Kulturministeriums, Ernst Wegener. Die Märchensammlung zähle zu den meistgelesenen Büchern der Welt - "noch vor der Bibel". Einziges Manko: Außerhalb Europas kenne kaum jemand den Ursprung der Grimms: "Niemand weiß, dass die Brüder aus Hessen waren und den Schwerpunkt ihres Schaffens in Kassel hatten."

Oft ein Happy-End dazu gedichtet

In Kassel sind dagegen die beiden Brüder omnipräsent - nicht nur auf den Glühweintassen des "Weihnachtsmarktes": Der "Däumling" mündet in den "Märchenweg" an der "Brüder-Grimm-Straße" - gesäumt von alten Fachwerkhäusern. In zwei davon hat Dorothea Viehmann gelebt. Hier erzählte die "Viehmännin", während die Grimms lauschten und ihre Notizen machten. "Die Gebrüder haben den Geschichten dann den romantischen Erzählton verliehen, oft ein Happy-End dazu gedichtet und ihnen den charakteristischen Märchenstil verliehen", erklärt der Leiter des Grimm-Museums, Bernhard Lauer. Das ist der Grund für ihre weltweite Rezeption.

200 Jahre nach Erscheinen der Erstauflage will Hessen die internationale Wahrnehmung des Landes als Heimat der Brüder Grimm stärken und plant ein Kulturfestival mit mehr als 200 Veranstaltungen, betont Wegener. Das Kulturprogramm aus Musik-, Literatur- und Theater-Veranstaltungen sowie zahlreichen Sonderschauen, darunter die Landesausstellung "Expedition Grimm", sei ein "großes Paket", merkt die Intendantin Maren Matthes an. Feierlicher Beginn bilde am 20. Dezember ein Empfang vor der Aufführung von "Hänsel und Gretel" im Kasseler Staatstheater.

Erotische Geschichten und andere Facetten

Im Zentrum des Grimm-Jahres sollten "nicht nur, aber auch" die Kinder- und Hausmärchen stehen, sagte Intendantin Matthes. Das vielfältige Schaffen solle im Zusammenhang mit der Epoche aus allen Facetten beleuchtet werden: Zur Zeit der Grimms "war richtig was los", betonte sie. Die napoleonische Besatzung, der Wiener Kongress - bei dem Jacob Grimm vertreten war -, der deutsche Vormärz und die Revolution von 1848 hätten sich im Schaffen der Brüder niedergeschlagen. "Sie waren nicht nur Märchensammler, sondern Diplomaten, Gelehrte und Journalisten." Und, was viele nicht wüssten: Die Erstauflage der Grimm-Märchen seien erotisch gewesen. Auch diese Fassungen würden erzählt.

Bereits vom 17. bis 20. Dezember kämen 240 Wissenschaftler "aus der ganzen Welt" an der Kasseler Universität zusammen, um bei einem Kongress die Grimms aus Forschungsperspektive unter die Lupe zu nehmen, sagt Wegener. Die Konferenz werde sich mit zahlreichen Aspekten befassen - "von den Quellen über ihre Poetik und Psychologie bis hin zur aktuellen Rezeption in Hollywood-Filmen", sagt Kongresspräsidentin Claudia Brinker-von der Heyde. Darüber hinaus gehe es um den Einfluss der Grimms auf die frühe germanistische Forschung. Debattieren wollten die Wissenschaftler aber nicht nur unter sich - bei zahlreichen "Workshops" stünden die Hörsäle auch dem interessierten Publikum offen.

100.000 Besucher erwartet

Allein bis Ende März warte das Grimm-Festival mit 61 Veranstaltungen an 31 Spielorten auf, wirbt Intendantin Mattthes. Außerdem werde es bis dahin sieben Ausstellungen geben. Bis Ende September 2013 laufe das Programm, zu dem mehr als 100.000 Besucher erwartet würden.

Kassel sei Zentrum der Veranstaltungen und "dafür der geeignete Ort", betont Wegener. Die Brüder Grimm hielten selbst fest, warum: Es sei einer "jener guten Zufälle" gewesen, dass sie Dorothea Viehmann kennenlernten, "die uns die meisten und schönsten Märchen erzählte." (dapd)

(Das Grimm-Jahr im Internet: http://www.grimm2013.de )