Essen/Mülheim. Oliver Kern, Geschäftsführer des Essener Vereins Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten ist am Dienstagabend vom Mülheimer Unternehmertreff für seine soziale Arbeit ausgezeichnet worden. Kern erhielt die Ehrung schon zum zweiten Mal.
Oliver Kern ist seit 2006 Geschäftsführer des Vereins für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten (VKJ). Am Dienstagabend ist der 47-Jährige nach 2009 zum zweiten Mal vom Mülheimer Unternehmertreff mit dem Titel „Unternehmer des Jahres“ ausgezeichnet worden. Janet Lindgens sprach mit dem zweifachen Vater, der sich politisch im SPD-Ortsverein Kray engagiert, über das Spannungsfeld Unternehmertum und Sozialarbeit.
Herr Kern, Sie nennen Politik als Ihr Hobby. Haben Sie Ihr Hobby nicht eher zum Job gemacht?
Oliver Kern: Umgekehrt, ich hab das große Glück, dass mein Job ein Stück weit übergeht in meine Hobbys. Ich war immer politisch aktiv in den Stadtteilen, wo ich gearbeitet habe.
Haben Sie nie darüber nachgedacht, in die Politik zu gehen?
Kern: Das wird mir gern angedichtet, aber ich mache mit meiner Arbeit ja Politik. Da kann ich viel zielführender Dinge bewegen. Ich muss mich nirgendwo einordnen, kann auch mal austeilen.
Wenn Sie dennoch Politiker wären, was wäre Ihr dringendstes Ziel?
Kern: Den Finanzmarkt vernünftig zu regeln. Wir haben keine Finanzkrise, sondern das Problem einzelner gieriger Menschen, die das Gemeinwohl ausgehebelt haben. Wir rennen nur noch der Wirtschaft hinterher. Es geht nicht mehr um den Menschen.
Dennoch sind Sie zum Unternehmer des Jahres ausgezeichnet worden.
Kern: Eigentlich bin ich kein Unternehmer, weil ich ja nicht eigenverantwortlich handle. Ich bin angestellt. Ich hafte nicht mit meinem Vermögen. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass ein Unternehmer etwas unternimmt, dann passt das schon. Ich bewege Geld, ich bringe Leute in Arbeit.
Sind unternehmerisches Tun und soziales Handeln nicht manchmal auch gegensätzliche Dinge?
Kern: Eigentlich nicht. Die Geschichte vieler Familienunternehmen zeigt das. Aber das ist weg. Gerade in den Konzernen geht es nur noch um Shareholder Value, um Gewinnmaximierung - egal auf wessen Kosten. Das ist bei mir anders. Mir geht es nicht um Gewinne. Nicht, weil ich die ohnehin nicht machen darf, sondern weil ich sie nicht brauche.
Wie definieren Sie dann Ihren unternehmerischen Erfolg?
Kern: Indem ich Menschen in Arbeit bringe. Ich habe in diesem Jahr 48 neue Stellen geschaffen. Ich sorge dafür, dass Menschen wieder Teilhabe bekommen.
Aber wo ist da Ihr Gestaltungsspielraum? Sie schaffen die Jobs ja nicht mit eigenem Geld.
Kern: Um Arbeitsplätze zu schaffen, muss ich Sponsorengelder einwerben. Ich muss also Menschen davon überzeugen, in dieses Unternehmen zu investieren - ohne, dass sie erstmal etwas davon haben. Das hat schon mit unternehmerischem Geschick zu tun.
Sie bekommen die Auszeichnung schon zum zweiten Mal. Gibt es nicht genügend preiswürdige Unternehmer?
Kern: Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe mit vielen Unternehmen zu tun, die sich sozial engagieren und uns unterstützen. Ich denke, die Auszeichnung hat auch mit meiner Person zu tun. Wir versuchen gerade, in Mülheim im Kita-Bereich Fuß zu fassen.
Stimmer der Kinder
In der Laudatio heißt es, Sie seien die Stimme der Kinder. Werden Sie auch gehört?
Kern: Ich denke ja, aber ich lasse mich dabei nicht verbiegen.
Aber auch Ihr Verein wurde Opfer der Sparmaßnahmen in der Stadt. Sie sind da nicht genug gehört worden?
Kern: Das galt für den Jugendbereich, der schon immer schwierig war und wo ich auch keine Besserung sehe. Denn Jugend hat noch weniger Lobby als Kinder. Ich wünsche mir, dass die Sozialverbände da wieder mehr Druck machen. Es kann nicht sein, dass wir Milliarden für die Bankenrettung ausgeben, die Jugend aber vergessen.
Wo müsste denn in Essen mehr für Jugendliche getan werden?
Kern: In allen Stadtteilen. Es wird immer mit Rankings gearbeitet, um den Stellenbedarf zu ermitteln. Klar kann man alles berechnen, aber das ist der Grundfehler. Wir gehen ökonomisch an die Sache und fragen nicht, was es uns wert ist.
Sie sind seit 20 Jahren beim VKJ. Was war Ihr prägendstes Erlebnis?
Kern: Das war ganz klar in der Märkischen Straße in der Obdachlosen-Siedlung. Da habe ich mit Menschen gearbeitet, die wirklich nichts hatten.
Gab es da ein besonderes Erlebnis?
Kern: Wir hatten ein Baby, das gerade mal vier Monate alt war. Die Mutter war völlig überfordert und hat ihr Kind mit Pommes gefüttert. Wir haben sie an die Hand genommen und ihr alles beigebracht. Ich als Mann hab ihr beispielsweise das Wickeln beigebracht.
Haben Sie noch Kontakt?
Kern: Nein, und das ist auch gut so. Denn Menschen kann man zwar an die Hand nehmen aber sie sollten dann selber laufen.
Sie selbst stammen aus einer zehnköpfigen Familie, sind in Armut aufgewachsen, kannten Hunger. Sie haben die Hauptschule abgeschlossen, später studiert und sind heute Geschäftsführer von fast 200 Mitarbeitern. Wäre eine solche Karriere heute noch möglich?
Kern: Ja, weil es Menschen gibt wie mich. Auch ich hätte es nicht geschafft, wenn nicht Menschen gewesen wären, die das Potenzial gesehen haben.
Wer hat Sie gefördert?
Kern: Zu allererst meine Grundschullehrerin. Sie hat schon vor 40 Jahren in mein Zeugnis geschrieben, dass ich sehr ehrgeizig bin. Sie hat uns auch das erste Mal teilhaben lassen an Weihnachten. Sie hat für uns eine Vorweihnachtsfeier organisiert. Im Gemeindehaus in Steele war das. Sie hat gebrauchte Geschenke besorgt, sie schön eingepackt, dann war da ein kleines Gesteck auf dem Tisch. Sie saß am Klavier, hat gesungen und so haben wir Weihnachten gefeiert. Da hab ich auch zum ersten Mal Geschenke bekommen. Solche Situationen habe ich nicht vergessen, sie haben mich später noch angespornt.
Welche Werte haben Sie Ihren Kindern vermittelt?
Kern: Meine Kinder sind tolle Kinder. Sie sind wertschätzend, unterstützen andere. Mein Sohn ist politisch aktiv. Meine Tochter gibt Nachhilfeunterricht. Aber sie wachsen natürlich anders auf. Sie kennen Hunger nicht. Da wird schon mal am Essen gemäkelt, was ich so nicht kenne.