Was ist das Einzigartige an Helmut Schmidt? Es ist der Respekt, die Sympathie, die Verehrung, je nachdem, den die Deutschen diesem Altkanzler entgegen bringen. Sehr viele Menschen geben sogar an, Schmidt sei ihr Vorbild. Sie meinen ganz offensichtlich nicht den Politiker, Altbundeskanzler oder Journalisten, sondern die Art, wie dieser uralte, weise, freche Mann augenzwinkernd mit seinem Rollstuhl durch sein Leben rollt.
Wenn Schmidt redet, spricht nicht die diplomatische Rücksicht, nicht die politische Korrektheit, sondern die praktische Vernunft. Und eine aus unvergleichlicher Erfahrung genährte erdige Ehrlichkeit. Ein Mann in Übereinstimmung mit sich selbst, durch nichts aus der Ruhe zu bringen oder gar aus der Bahn zu werfen. Nicht einmal durch den Tod seiner geliebten Loki, die er, da waren sie zehn, beim Kirschenessen kennenlernte, um dann später unvorstellbare 68 Jahre lang mit ihr verheiratet zu sein.
Schmidt kennt seine neue Lebensgefährtin seit 57 Jahren
Journalistisch drängend und doch einfühlsam fragt Giovanni di Lorenzo Schmidt: „Gibt es außer Loki einen Menschen, an den Sie beinahe täglich denken?“ An seine Freundin Ruth Loah, antwortet Schmidt. „Ist sie Ihre neue Lebensgefährtin?“, schiebt der Zeit-Chefredakteur nach. „Ja“, sagt Schmidt. Er kennt sie seit 57 (!) Jahren.
Man kann Schmidt beneiden. Um seine Souveränität, um sein Glück. Welcher Mensch darf in seinem Leben schon so viel erleben, mit über 90 Jahren noch so klar im Kopf zu sein, so klug und humorvoll, bei seinen inzwischen seltenen öffentlichen Auftritten immer noch rührend gefeiert zu werden. Und dann auch noch den Sonnenuntergang nicht einsam und allein erleben zu müssen. Hat er nicht so viel mehr Glück als andere: „Kann sein“, wirft er lächelnd, lakonisch und dankbar hin.
Das alles hat sehr viel Stil. Ihn hat ihr Tod von Loki geschieden. Das ist anderthalb Jahre her. Er trägt ihren Ring. Es gibt keine moralische Partner-Verpflichtung über den Partnertod hinaus. Es ist in Schmidts Fall nicht nur so, dass man eben nur ein Mal lebt. Ihm gelingt das Kunststück, es mit eigener Würde zu tun.