Der letzte Schritt kam spät und geschah nicht mehr aus eigener Einsicht, sondern weil er unabwendbar war. Ein Staatsoberhaupt unter Anklage, ein Präzedenzfall im Schloss Bellevue. Nur der Verursacher der Misere konnte unserer Demokratie weitere Demütigungen ersparen. Christian Wulff ist vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten, nach nur eineinhalb Jahren und doch: endlich!

Als Vorbild hat er versagt. Er war nicht der Präsident der „Bunten Republik Deutschland“, die er nach seiner Wahl proklamierte, sondern nur noch der „Bunten“. Ein Günstling der Bussi-Bussi-Gesellschaft, der sich lieber von Finanzjongleuren und Filmsternchen umflattern ließ, als nah bei den Bürgern zu sein. Seine windigen Affären hat er nicht aufgeklärt, sondern mit juristischen Winkelzügen vernebelt.

Er sei „immer aufrichtig“ gewesen, sagte Christian Wulff in seiner kurzen Erklärung. Auch das muss sich noch herausstellen. Bislang hat er nicht wie eine ehrliche Haut gewirkt, sondern wie ein Trickser. Staatsanwälte werden nun endgültig Licht in den Graubereich von Wulffs Welt bringen, wo Freundschaften zu reichen Gönnern und Geldgebern womöglich ungute Abhängigkeiten geschaffen haben.

Als Politiker ist es ihm nicht gelungen, Akzente zu setzen. Der Versuch, den Islam zum Teil Deutschlands zu erklären, musste scheitern, weil er historisch nicht stimmt. Damit hat er seiner guten Idee, dass nämlich auch Muslime gerngesehene und gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft sind, einen schlechten Dienst erwiesen. Ansonsten blieb der erste Mann im Staat dessen größte Macht die der Rede ist, auffällig stumm.

Als Mensch verdient er mindestens Mitleid. Und viele Bürger fühlen mit den Wulffs, ärgern sich, dass man „den Mann nicht in Ruhe lässt“. Nicht wenige glauben, die Vorwürfe der Vorteilsnahme seien nicht relevant, weil doch jedermann zunächst sich selbst bedient. Aber der Bundespräsident ist der erste Diener des Staates, nicht sein bester Selbstbediener. Für den Bundespräsidenten müssen höchste moralische Maßstäbe gelten. Christian Wulff hat sich daran nicht gehalten. Er hat sogar die Würde des Amtes als Schutzschild gegen unangenehme Fragen missbraucht, um seine Haut zu retten. Deshalb ist es ein Irrtum zu behaupten, „die Presse“ habe ihn aus dem Amt gehetzt.

Wulffs Fall ist der klassische Absturz eines politischen Ikarus’, der zu nah an der Sonne fliegt und für seinen Hochmut bestraft wird. Er hatte das höchste Amt so sehr begehrt, dass er sich gar nicht erst gefragt hat, ob er ihm gewachsen ist. Bitter, aber die Wahrheit:

Unser zehnter Bundespräsident war von Anfang an eine Fehlbesetzung. Er selbst und die ihn tragenden Parteien hätten es wissen können. Angela Merkel und die Tigerenten-Koalition hat den Schlamassel mit ihrem Käpt’n-Blaubär-Präsidenten zu verantworten. Ihnen war die sprichwörtliche „Würde des hohen Amtes“ derartig egal, dass sie auch einen Gernegroß ins Bellevue hievten, Hauptsache, das Parteibuch stimmt.

Spätestens bei der dramatisch umkämpften Bundesversammlung konnte jeder spüren, dass es einen Besseren für das höchste Amt gibt: Joachim Gauck, bis heute der gefühlte Bürger-Präsident der Republik. Er könnte jetzt gewählt werden, wenn die Kanzlerin bereit wäre, wahre Größe zu zeigen. Angesichts des Desasters, das der zweite Rücktritt eines Bundespräsidenten seit 2010 angerichtet hat, wäre dies eine wichtige Geste.

Gerade der Fall Wulff hat gezeigt, dass die rein parteipolitisch motivierte Suche nach Kandidaten nicht zu einem Ergebnis führt, das den gewachsenen Ansprüchen und Erwartungen an einen Bundespräsidenten gerecht wird.

Angela Merkel hat bereits angekündigt, auf die Opposition zugehen zu wollen. Das ist keine Großzügigkeit, ihr bleibt gar nichts anderes übrig. Denn die Koalition hat in der Bundesversammlung nur eine hauchdünne Mehrheit, und in zwei Ländern stehen Wahlen an. Gegen SPD und Grüne ist dieses Mal kein Präsident zu küren.

Doch die ersten gehandelten Namen zeugen nicht davon, dass man aus Schaden klug wird. Ausnahmslos alte CDU-Granden und die niedersächsische Erfolgspolitikerin Ursula von der Leyen werden gehandelt. Alle müssen sich fragen lassen, ob es in ihrem Leben und politischen Handeln Ereignisse gegeben hat, die sie hindern könnten, eine mögliche Amtszeit durchzustehen.

Solche Fragen hat der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde nicht zu fürchten. Joachim Gauck, bürgerlich, unbestechlich, früher im grimmen Widerstand gegen die DDR-Diktatur, heute fröhlich verliebt in die Freiheit, wäre ein Bundespräsident, der dem Amt und unserer angeschlagenen parlamentarischen Demokratie die verloren gegangene Glaubwürdigkeit zurückgeben könnte.